Philip Zeschmann zum Antrag von BVB/FW: „Klimapolitischer Wandel im Landesnahverkehrsplan“ – 16.09.2022

16. Sep 2022

Rede von Philip Zeschmann in Textform:

Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen Abgeordnete! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger! Liebe Gäste auf der Tribüne! Der Landesnahverkehrsplan 2023-2027 soll für die nächsten Jahre die Grundlage für den angesichts des Klimawandels erforderlichen Wandel im Verkehrssektor im Land Brandenburg legen. Im Koalitionsvertrag der Landesregierung wird die Erhöhung des Anteils des Umweltverbundes am Verkehrsmix von 40 auf 60 % bis 2030 als zentrales verkehrspolitisches Ziel festgelegt. Das bedeutet eine mindestens 50%ige Steigerung von Verkehrsleistungen und Fahrgastzahlen im Schienenpersonennahverkehr in relativ kurzer Zeit.

Es ist eine deutliche Ausweitung und qualitative Verbesserung der Angebote des Umweltverbundes und insbesondere des Schienenpersonennahverkehrs erforderlich, um – Zitat aus dem Entwurf des LNVP – „SPNV attraktiv und möglichst flächendeckend in ganz Brandenburg zur Verfügung“ stellen zu können. Jeder und jede soll in ganz Brandenburg, in jeder Region, eine attraktive SPNV-/ÖPNV-Lösung als Alternative zum motorisierten Individualverkehr haben, die zum Umsteigen motiviert. Um dieser Zielsetzung wenigstens ansatzweise gerecht zu werden und das künftige Schienenpersonennahverkehrsangebot – wieder ein Zitat aus dem Entwurf – „sowohl nachfragegerecht als auch angebotsoffensiv“ anbieten zu können, müssen erhebliche zusätzliche Maßnahmen realisiert werden.

Ich zitiere aus der Stellungnahme des Bündnisses Schiene Berlin-Brandenburg:

„Es ist im LNVP nicht hergeleitet, ob und wie das Ziel einer Steigerung des Schienenverkehrsanteils um mindestens 50 % erreicht wird; es ist unklar, ob sich das vorgeschlagene Linien- und Bedienangebot daran orientiert und eine solche Steigerung überhaupt bewältigen kann.“

Der Entwurf des LNVP wird der selbst formulierten Zielsetzung, den erforderlichen Wandel im Verkehrssektor ausreichend zu unterfüttern und dafür die Weichen in die richtige Richtung zu stellen, in keiner Weise gerecht – jedenfalls dann nicht, wenn es konkret wird.

Der Entwurf des Landesnahverkehrsplans ist auf Basis der in unserem Antrag dargestellten grundlegenden Prinzipien gänzlich anders auszurichten, damit Brandenburg eine Chance hat, sich dem selbst gesteckten Ziel, liebe Koalitionspolitiker, von 60 % Umweltverbund im Verkehrsmix mittel- und langfristig wenigstens rudimentär anzunähern – das heißt natürlich nicht, bis 2030; das ist nicht so schnell möglich.

Nach den Koalitionsverträgen auf Bundesebene von 2018 und 2021 verfolgt die Bundespolitik mit dem Deutschlandtakt das Ziel, bis 2030 die Verkehrsleistung im Schienenpersonennahverkehr zu verdoppeln und im Güterverkehr zu erhöhen. Auch Brandenburg hat sich zum Deutschlandtakt und zu den damit verbundenen grundsätzlichen Zielen bekannt. Im Landesnahverkehrsplan sollte deshalb dargelegt werden, wie die angestrebte Verdopplung des Schienenpersonennahverkehrs bis 2030 auch im Regionalverkehr erreicht und bewältigt werden soll und welche Auswirkung die höhere Inanspruchnahme der Schienenkapazität durch den Güterverkehr auf den Schienenpersonennahverkehr haben wird.

Diesem unbedingten Erfordernis wird der Entwurf des Landesnahverkehrsplans in keiner Weise gerecht.

(Beifall BVB/FW)

Zudem berücksichtigt die Schienenverkehrspolitik des Landes nur ungenügend die Potenziale, die die bessere Anbindung von Städten und Regionen im Schienenverkehr auf die wirtschaftliche und demografische Entwicklung haben kann. Auch eine auf Jahresscheiben verteilte Investitionsplanung mit Abschätzung der erforderlichen investiven Anteile des Landes an den Planungs- und Baukosten – vor allem bei den i2030-Projekten – muss ergänzt werden. Sonst ist der LNVP – tut mir leid – das Papier, auf dem er gedruckt ist, nicht wert ist, denn ohne eine finanzielle Unterlegung lässt sich das nicht umsetzen.

(Beifall BVB/FW)

Neben der umfassenden Engpassbeseitigung durch Kreuzungspunkte spielt die Digitalisierung von Infrastruktur, Fahrzeugen und Betriebsabläufen eine entscheidende Rolle, was im Entwurf auch nur unzureichend dargelegt wird. Darin wird außerdem nicht ausreichend deutlich, welche Ziele und Maßnahmen mit Berlin abgestimmt sind und von Berlin mitgetragen werden. Eine Schienenpersonennahverkehrsplanung muss jedoch vom Ansatz her bereits länderübergreifend vorgenommen werden und kann nicht im Rahmen eines Landesnahverkehrsplans in Brandenburg allein geregelt werden.

(Beifall BVB/FW)

Wir haben gerade in den letzten Tagen die Diskussion um die Verlängerung des 9-Euro-Tickets und den Alleingang Berlins mit dem 29-Euro-Ticket wahrgenommen.

Weiterhin muss der Bahnknoten in Berlin neu gedacht werden; das muss auch über die im Projekt i2030 aufgeführten Projekte hinausgehen. Es müssen weitere Strecken berücksichtigt werden, zum Beispiel die Nordbahn.

Deswegen bedarf es einer grundlegenden Überarbeitung des Entwurfs des Landesnahverkehrsplans. Dabei ist von den Fahrgastpotenzialen im jeweiligen Korridor – jetzt kommt es! – unter Berücksichtigung sowohl der heutigen MIV-Anteile – „MIV“ steht für den motorisierten Individualverkehr – als auch der Potenziale, die erst durch Zuzug aufgrund der attraktiveren Verkehrsanbindung mittelfristig gewinnbar sind, auszugehen. Letztere müssen also auch berücksichtigt werden.

Das wäre dann eine grundlegend andere, nämlich angebotsorientierte Strategie – und das ist der entscheidende Punkt -, die wir brauchen, um Menschen dazu bewegen zu können, ihr Auto auch einmal stehen zu lassen, eben weil wir ein gutes Angebot haben.

Dazu sind viele Maßnahmen auszuführen: eine konsequente Verstetigung der Takte; eine Verbesserung des Grundsystems mit höherer Verfügbarkeit für die Menschen, die es nutzen möchten; erweiterte Kernzonenversorgungszeiten, sodass den ganzen Tag über bis in die späten Abendstunden gesicherte Wegeketten und Vertaktungen angeboten werden. Sehr wichtig ist es auch, eine Regio-S-Bahn einzuführen, also die Vorteile von S-Bahn und Regionalbahn zu kombinieren und die Regionalexpresse mit ihrer Erschließungsfunktion auch in den ländlichen Räumen schnell fahren zu lassen, um auch den Menschen, die am Stadtrand wohnen, die Möglichkeiten zu eröffnen.

Ebenso ist es erforderlich, dass am Ende von Linien eine Flügelung durchgeführt wird, damit auch die Städte in Brandenburg direkt von Berlin erreicht werden können, für die bisher keine solche Verbindung angeboten wurde.

Zu guter Letzt: Eine integrierte digitalisierte Plattform aller Anbieter von ÖPNV- Leistungen soll es den Nutzern des ÖPNV ermöglichen, diesen optimaler zu nutzen.

Auf die fachlich bestimmt tiefgreifende und grundlegende Debatte zu diesen zentralen Bausteinen und der weitreichenden Bedeutung des LNVP freue ich mich. – Danke schön.

(Beifall BVB/FW)

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