Landesregierung blamiert sich weiter: Stimmzettel angeblich zu groß für Wahlkabinen – das soll Kahlschlag bei Wahlrecht rechtfertigen
Die Landtagsfraktion BVB / FREIE WÄHLER fordert die Landesregierung im Vorfeld der Anhörung am Innenausschuss am 8. März auf, auf den Boden der Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren und die immer absurder werdenden Erklärungen bzw. Ausreden, warum man das Wahlrecht zulasten von Listenvereinigungen ändern müsse, abzustellen und den Gesetzentwurf in diesem Punkt zurückzuziehen. So zeugen die Antworten der Regierung auf eine aktuelle parlamentarische Anfrage des Fraktionsvorsitzenden Péter Vida von einem besorgniserregenden Demokratieverständnis.
Wie bekannt, ist BVB / FREIE WÄHLER anders strukturiert als die etablierten Parteien. Ortsverbände gibt es nicht. Stattdessen arbeiten auf kommunaler Ebene viele kleine, unabhängig entstandene Wählergruppen zusammen. Die tragen aus historischen Gründen unterschiedliche Namen wie „Wählergruppe Hohenfinow“, „BI Liepnitzwald“, „Die Ahrensfelder Unabhängigen“, „Für Umwelt und Natur – Gegen B167neu!“, oder „Bündnis Oderberg“. Zur Kreistagswahl treten diese lokalen Wählergruppen als Listenvereinigung gemeinsam an, um die örtlichen Interessen gemeinsam auch im Kreistag vertreten zu können.
Doch wie bekommen die Wähler mit, welche lokalen Wählergruppen da eigentlich gemeinsam antreten? Bisher war das einfach und transparent: Es steht klar und deutlich auf dem Wahlzettel. Und viele Wähler waren beim Lesen des Wahlzettels dann positiv überrascht. Sie konnten die parteiunabhängige Wählergruppe, die sie schon in der Gemeinde gewählt hatten, nun auch bei der Wahl in den Kreistag unterstützen. Bei den Kreistagswahlen 2019 konnten die in der Listenvereinigung von BVB / FREIE WÄHLER angetretenen Wählergruppen so landesweit zusammen 6,3% der Stimmen erzielen. Und ließen damit sogar eine der im Bundestag vertretenen Parteien hinter sich.
Doch dies war der Landesregierung schon vor Jahren ein Dorn im Auge. Denn jede Stimme für die Listenvereinigung von Wählergruppen bedeutet einen geringeren Stimmanteil für die großen Parteien. Und so machte sich die Regierung an die Arbeit, die um Stimmanteile konkurrierenden Wählergruppen vom Wahlzettel verschwinden zu lassen. Ein Vorwand wurde schnell gefunden: Diese Wahlzettel seien doch viel zu lang! Das würde doch die Lesbarkeit der Wahlzettel verschlechtern. Zur besseren Lesbarkeit soll daher jeder an einer Listenvereinigung beteiligte Wahlvorschlagsträger nach dem fünften zukünftig ausgeblendet werden.
„So droht dann in Kürze, dass die Wähler ihre lokalen Wählergruppen nicht mehr auf dem Wahlzettel finden, obwohl diese als Teil einer Listenvereinigung dort antreten. Und diese absichtliche Verwirrung und Täuschung der Wähler begründet die Landesregierung dann auch noch zynisch mit ‚besserer Lesbarkeit des Wahlzettels‘“, so Péter Vida.
„Hinzu kommt, dass die Landesregierung den Umfang jeder Listenvereinigung ab 5 Teilnehmern komplett verschleiert. Wer die Regel nicht kennt, denkt, es gäbe keine Listenvereinigungen mit mehr als 5 Teilnehmern. Doch auch wer die Regel kennt, stände verdutzt vor dem Wahlzettel. Sind in dieser Listenvereinigung 5 Wählergruppen? Oder ist das ein Bündnis von 10 oder gar 15 Wählergruppen? Und wenn ja: Welche Wählergruppen sind das? Die Logik der Landesregierung ist völlig widersinnig: Die Wähler sollen den Wahlzettel besser verstehen, weil wahlrelevante Informationen ausgeblendet werden. Nicht-Information ist bessere Information! – George Orwell hätte es sich nicht besser ausdenken können. Die Frage, welches andere demokratische Land als Vorbild dient, Stimmzettel durch Ausblendung von Wahlvorschlagsträgern zum Wohle der Wähler zu kürzen, konnte die Landesregierung in der parlamentarischen Anfrage nicht beantworten“, so Vida weiter.
Auch die Zahl der Beschwerden seitens der Wahlleitungen wollte oder konnte die Landesregierung nicht nennen. Zudem wurde als einziges konkretes Beispiel für Probleme „übergroßer Stimmzettel“ die Europawahl 2019 aufgeführt. Doch bei dem nun geplanten Gesetz geht es gar nicht um die Europawahl, sondern um Kommunalwahlen. Und bei diesen gibt es nicht wie bei der Europawahl über 40 Wahlvorschläge, sondern üblicherweise nicht einmal ein Drittel davon. Aber genau diese deutlich kürzeren Wahlzettel sollen jetzt durch die Ausblendung von antretenden Wahlvorschlagsträgern gekürzt werden.
Die Landesregierung gibt zudem zu, dass diese konkrete Gesetzesänderung schon seit 2018 als Entwurf des damaligen Innenministers Karl-Heinz Schröter (SPD) in den Schubladen liegt (Antwort auf Frage 5). Der nun als Begründung aufgeführte Wahlzettel zur Europawahl 2019 ist daher nicht nur aufgrund anderer Zuständigkeitsebenen irrelevant. Er existierte bei den ersten Planungen zur Gesetzesänderung noch gar nicht und ist somit ein nachträglich hinzugefügter Vorwand.
Die Antwort der Landesregierung vermischt zudem die Probleme von Stimmzetteln der Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europaebene. Konkrete Zahlen konnte sie dabei nicht einmal für das Gesamtproblem liefern, geschweige denn für die Kommunalebene. Mangels spezifischer Informationen musste sie daher auf unsere parlamentarische Anfrage hin Beschwerden zu Wahlen auf allen Ebenen – Kreistag, Landtag, Bundestag, Europaparlament – willkürlich zusammenschütten, um überhaupt etwas antworten zu können. Dabei sind Änderungen zur Verkürzung der Stimmzettel auf anderen Ebenen gar nicht geplant.
Dies zeigt, dass es bei diesem Gesetz nie um Probleme mit den Stimmzetteln der Kommunalwahl ging. Denn sonst hätte die Landesregierung vor dem Gesetzentwurf die Probleme konkret abgefragt und als Begründung Zahlen präsentieren können. Sie hatte für diese Abfrage seit 2018 genug Zeit. Oder sie hätte wenigstens die aufgelaufenen Beschwerden zahlenmäßig erfassen und eine konkrete Auswertung zu Problemen mit Stimmzetteln der Kommunalwahl vorweisen können. Es existiert jedoch nichts dergleichen. Der Gesetzentwurf wurde also ohne konkrete Datengrundlage und ohne Interesse am offensichtlich vorgeschobenen Problem erstellt. Was den Verdacht nahelegt, dass die Beweggründe für das geplante Gesetz völlig anderer Natur sind.
Den Vorwurf, die Landesregierung wolle hier ein Lex BVB / FREIE WÄHLER schaffen, wies die Landesregierung empört zurück. Der Gesetzentwurf beruhe „ausschließlich auf sachlich gebotenen Erwägungen“. Das Gesetz betreffe „alle Parteien, politischen Vereinigungen und Wählergruppen, sofern sie eine Listenvereinigung mit mehr als fünf Beteiligten bilden“. Tatsache ist jedoch, dass die großen Parteien als parteieigene Ortsverbände organisiert sind und daher zu Kommunalwahlen in 99,9% der Fälle keine Listenvereinigungen mit mehr als fünf Beteiligten bilden.
„Das Gesetz, das das Innenministerium ausgeheckt hat, schadet unabhängigen lokalen Wählergruppen, die sich zu Listenvereinigungen zusammenschließen wollen. Und das sind in Brandenburg fast ausschließlich die in BVB / FREIE WÄHLER organisierten Wählergruppen. Und genau deren Schädigung bei der nächsten Kommunalwahl ist das offensichtliche Ziel dieser demokratiefeindlichen Aktion. In einer Zeit, in der die demokratischen Kräfte bemüht sein müssten, das Vertrauen in staatliche Strukturen zu stärken, hat die Landesregierung BVB / FREIE WÄHLER zum Hauptgegner erkoren und setzt dabei das Wahlrecht als Waffe ein“, so Vida abschließend.
Im Rahmen der Anhörung im Innenausschuss am 8. März wird Fraktionsvorsitzender Péter Vida die rechtlichen und tatsächlichen Widersprüche dieser beispiellosen Aktion herausstellen.