Péter Vida zur Debatte „Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine“ – 24.02.2023

24. Feb 2023

Rede von Péter Vida in Textform:

Péter Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Gesandte! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor einem Jahr durchfuhr uns der Schock angesichts des verurteilungsund verabscheuungswürdigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. Wir haben uns hier versammelt, haben wohlüberlegte Reden gehalten – das billige ich jedem zu -, und ich glaube, die wenigsten von uns konnten sich vorstellen, mit welch einer Brutalität und wie festgefahren dieser Krieg bis heute fortgeführt wird. Deswegen möchte ich Ihnen keine klassische diplomatische Rede mit historischen Zahlen und irgendwelchen Fakten darbieten, sondern meine persönlichen Eindrücke schildern, denn ich glaube, dass wir alle sehr, sehr nachdenklich sind und überlegen, was der richtige Lösungsweg ist.

Als ich im Dezember 2013 in Kiew gewesen bin, habe ich auf dem Maidan gesehen, mit welch einem Geist der Erneuerung, mit welcher Entschlossenheit zur Selbstbestimmung die Menschen dort ihren Protest unter sehr schwierigen Bedingungen auf die Straße getragen und deutlich gemacht haben, dass sie eine neue Ukraine wollen, die sich nach Europa wendet. Ich habe sehr viel Aufbruchstimmung, Entschlossenheit und Mut, aber auch Verunsicherung gesehen – aber die Menschen waren entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Was man dort gesehen hat, könnte in keinem größeren Kontrast zu dem stehen, was nur drei Monate später – im März 2014 – auf der Krim passiert ist: Dort wurde in einem völkerrechtswidrigen Manöver mit einem Scheinreferendum der Beitritt zu Russland besiegelt, und es wurde das Märchen erzählt, es seien keine russischen Truppen unterwegs.

Ich möchte Ihnen eine Begebenheit schildern, die ich dort selbst erlebt habe: Ich stehe allein auf dem Hinterhof des Parlaments von Simferopol und sehe durch ein offenes Tor ein Militärfahrzeug mit offizieller russischer Kennung auf dem Hof des Parlaments der Krim stehen. Als ich ein Bild davon machen will, werden hektisch Leute herbeigerufen, und man schiebt das Tor zu, um das Nummernschild zu verdecken und leugnen zu können, dass sich dort russische Truppen aufhalten.

Auf dem Weg nach Bachtschyssaraj, wo die Krimtataren in sehr großer Not gelebt haben und immer noch leben – ich habe sehr viel Traurigkeit, sehr viel Verzweiflung bei ihnen gesehen -, kamen einem russische Konvois entgegen, die es laut offizieller Darstellung nie gegeben hat. Auch die vielen verunsicherten Ukrainer, die am Tag der Volksabstimmung am 16. März heimlich ihren Zettel falteten, weil sie gegen den Beitritt zu Russland stimmten, ihn in die Urne steckten und schnell die Wahllokale verließen, weil die Wahlurnen gläsern waren – das sind Erlebnisse, die in keinem größeren Kontrast zu dem stehen könnten, was ich noch wenige Monate vorher in Kiew gesehen habe.

Diese Bilder in Relation gesetzt zu 2016 in Donezk und Lugansk: das Elend, die Kälte, die Verzweiflung der Menschen zu sehen – sogar bei den Leuten, die am Frontverlauf auf der Rebellenseite im Bunker gesessen haben. Junge Männer, die mir beim Tee sagen: Wir müssen zu Frieden kommen; das sind doch unsere Brüder. – Und dabei weisen sie bei Mörsergranatenbeschuss auf die 300 m entfernte Frontlinie.

Ich erzähle das nicht, weil ich mich daran ergötze, sondern weil es eben nicht die Bürger sind, die den Weg des Krieges gehen, und weil Vernunft und die Sehnsucht nach Frieden in jedem Volk zu finden sind. Das sollten wir auch jedem Volk zubilligen.

Wir haben Russland gewähren lassen, wir haben es unterschätzt. Das kulminierte in dem, was wir letztes Jahr erlebt haben – woraufhin es erst zu einer Flüchtlingsbewegung und dann zu einer beispiellosen Hilfsbereitschaft und Solidarität gekommen ist. Ich glaube, was wir erlebt haben, als die Situation so akut geworden ist, hat uns den Wert von Frieden, von Freiheit, von Solidarität eingebrannt – und es lässt keinen Raum für Relativierungen, die Verdrehung der Ursachen und weiteres Geschwurbel. Die Situation erfordert, dass man die Quelle des Völkerrechtsbruchs und den Aggressor klar benennt und alles gegen das Leid und Elend unternimmt – und das fängt damit an, die Ursachen nicht zu verdrehen und auch sie klipp und klar zu benennen.

(Beifall BVB/FW, B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Aber, meine Damen und Herren, man kann es so sehen – meines Erachtens sollte man es so sehen – und man muss es aussprechen: Man kann zugleich zu dem Ergebnis kommen, dass Waffenlieferungen von Deutschland in der aktuellen Situation nicht das Richtige wären, und zwar nicht, weil man relativiert – das tue ich nicht, das tun wir nicht -, sondern weil man zu der Überzeugung kommt, dass das nicht der Lösungsansatz ist. Wir sehen das so – unabhängig davon, wer es noch so sieht. Nicht, weil wir „kriegsmüde“ sind – ich halte das für ein schreckliches Wort -, sondern weil wir hellwach die jüngere und auch ältere Geschichte betrachten.

Wir sollen solidarisch sein; wir sind es und wir bleiben es. Und wir sollten uns hier in der Debatte gegenseitig zubilligen bzw. dem jeweils anderen zugestehen, dass auch er für Solidarität steht, auch wenn er in dieser diffizilen Frage – und es ist eine diffizile Frage – zu einem anderen Ergebnis kommt.

(Beifall BVB/FW sowie des Abgeordneten Walter [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren, es braucht eine europäische Perspektive. Ich begrüße den Aufruf des Bundespräsidenten, gerade in der jetzigen Zeit als Zeichen kommunaler Diplomatie Städtepartnerschaften mit ukrainischen Städten einzugehen. Es passiert so viel an direkter, unmittelbarer Hilfe, und so muss es meines Erachtens auch weitergehen. Vor allem aber braucht es Frieden, Freiheit und die Freundschaft der Völker. – Vielen Dank.

(Beifall BVB/FW sowie vereinzelt SPD, CDU, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

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