Péter Vida zum Mitbestimmungsrecht für Anlieger von BVB/FW – 16.12.2022

16. Dez 2022

Rede von Péter Vida in Textform:

Péter Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir diskutieren erneut über den Dinosaurier der Kommunalabgaben, nämlich die Erschließungsbeiträge. Da ist zunächst eine Lagebeschreibung erforderlich. Es ist so, dass in den allermeisten Orten Brandenburgs die Bürger auch bei Anliegerstraßen nicht mitbestimmen können, sondern die Gemeinde legt fest und dann wird gebaut. Das Argument für die nicht vorhandene Mitbestimmung ist: Die Straße ist ja für alle da. Insofern könnt ihr als einzelne Anwohner an den Straßen doch nicht ihren Ausbau blockieren, denn jeder muss sie ja nutzen können. – An der Stelle applaudiert dann meist SPD und CDU. Wenn es dann darum geht, den Bürgern die Abrechnung zuzusenden, werden in den meisten Kommunen die Bürger mit 90 % Eigenanteil belastet. Da fragt der Bürger: Mensch, warum muss ich denn 90 % bezahlen, wenn die Straße doch für jedermann da ist? – Antwort: Du musst 90 % bezahlen, weil sie vor allem dir nützt und sie vor allem für dich da ist und deinen Grundstückswert steigert. Deswegen zahle auch den Bärenanteil. – Das heißt, beim Ob des Baus wird mit dem vermeintlichen Gemeinnutzen argumentiert und darauf verwiesen, weswegen die Bürger einen Bau nicht verhindern können sollen; beim Wie der Bezahlung wird mit dem vermeintlichen Individualnutzen argumentiert und dargelegt, warum die Bürger gefälligst auch 90 % tragen sollen.

Bevor der Einwand kommt: „Das kann aber nicht sein, dass irgendwelche Schulwege verhindert werden“, entgegne ich: Es geht um Anliegerstraßen, nicht irgendwelche Sammel- oder Haupterschließungsstraßen.

(Beifall BVB/FW)

Sodann wird schnell ein wirtschaftlicher Vorteil in den Raum gestellt, ein Nachweis wird nicht erbracht, die Frage, ob man diesen Vorteil überhaupt möchte, nicht gestellt. So kommt es in letzter Zeit immer häufiger dazu – das steht auch im Antrag – , dass beispielsweise Straßen errichtet werden, die dann der Erschließung eines dahinterliegenden Wohngebietes dienen sollen. Das Wohngebiet wird später errichtet, aber zum Zeitpunkt der Straßenerrichtung ist die Straße noch eine Anliegerstraße und wird zu 90 % von den Anliegern bezahlt. Wenn die Straße fertig ist, wird das Erschließungsgebiet dahinter errichtet und sie wird zur Durchgangsstraße, aber zum Zeitpunkt der Abrechnung war es noch eine Anliegerstraße.

Zur Mitbestimmung: Wir haben das einmal recherchiert, denn das Ministerium war dazu nicht willens oder in der Lage. Gerade einmal fünf Orte in Brandenburg mit über 15 000 Einwohnern haben eine Mitbestimmung, und nur sechs Orte mit über 15 000 Einwohnern haben eine Anwohnerbelastung von unter 90 %. Das heißt also: Minimale Mitbestimmung, maximale Beitragshöhe – so sieht die Beitragsgerechtigkeit bei Brandenburger Anliegerstraßen aus.

(Beifall BVB/FW)

Deswegen sagen wir ganz kühn: Lasst doch bei einer starken Belastung die Bürger wenigstens mitreden!

Nun ist dieser Vorschlag diskutiert worden, und da gab es von der Koalition folgende Reaktionen. Beitragsgerechtigkeitskämpfer Ludwig Scheetz von der SPD erklärte in der „Märkische Allgemeinen Zeitung“ vom 07.11.:

„Wenn wir damit anfangen, haben irgendwann auch Eltern ein verbindliches Mitspracherecht am Ausbau von Kitas und Schulen.“

(Heiterkeit und Beifall BVB/FW sowie des Abgeordneten Walter [DIE LINKE])

Das ist ja unerhört! Eltern, die bei Schulen und Kitas mitreden wollen – ungeheuerlich! Außerdem gibt es einen Unterschied: Mir ist nicht bekannt, dass es Schulbaubeiträge oder Kitabaubeiträge gibt. Insofern hinkt der Vergleich doppelt. Aber es geht noch besser. Bürgerrechtler Schaller erklärte in derselben Zeitung am selben Tag: Ein Vetorecht der Anwohner würde letztlich die Entmachtung der Gemeindevertretung bedeuten. – Meine Damen und Herren, wer bei der Mitsprache beim Anliegerstraßenbau eine „Entmachtung“ der Politiker fürchtet, hat ein sehr befremdliches Verständnis von Macht und Kommunalpolitik.

(Beifall BVB/FW und des Abgeordneten Freiherr von Lützow [AfD])

Geht es nicht eine Nummer kleiner? Es geht nicht um Machtausübung, sondern Beitragsgerechtigkeit. Im Übrigen geht es in dem Antrag auch nicht um ein Vetorecht, denn in den Orten, in denen Mitbestimmung praktiziert wird – Bernau ist in diesem Punkt Vorreiterort -, ist es so, dass den Anliegern der Entwurf, die Kostenschätzung vorgestellt und dann gefragt wird, ob oder ob nicht. Da wird also in keiner Weise ein Beschluss aufgehoben.

Dass es innerhalb der Christlich Demokratischen Union Brandenburg auch anders geht, zeigt uns die Abgeordnete Nicole Walter-Mundt, die interessanterweise Folgendes in der „Märkischen Oderzeitung“ vom 19.11.21 von sich gab: Die Kosten für den Bürger sind transparent darzulegen, heißt es in einem Flyer der CDU. – Dieselbe Partei wie die des Innenministers, der noch sprechen wird. – Und wenn sie sich dann gegen alle Varianten entscheiden und die Straße so bleiben soll, dann ist das auch gut. – Denn die CDU brachte in Oranienburg auch die Mitbestimmung auf den Weg und warb dafür, dass die Bürger mitentscheiden können.

Doch nicht nur das; es heißt hier: Wir müssten uns von 90 % Anliegerkosten verabschieden, sagt die CDU-Politikerin. Das ist nicht mehr zeitgemäß, sagt die CDU-Politikerin. DIE LINKE fordert 50/50, die SPD eine Staffelung von 25 % und 75 % für die Anwohner, die CDU will, dass die Anlieger maximal 60 % tragen müssen – in Oranienburg, einem Ort mit sehr vielen Sandstraßen.

(Beifall BVB/FW)

Und was da gesagt wurde, ist auch richtig.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Vida (BVB/FW):

Selbstverständlich.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Frau Walter-Mundt (CDU):

Vielen Dank, Herr Vida. – Ist Ihnen bekannt, dass die Fraktion der CDU Oranienburg kommunal handelt und die Stadt sozusagen beauftragt wurde? Ist Ihnen bekannt, dass diese Entscheidung in der Stadt Oranienburg getroffen wurde, und zwar mehrheitlich, und dass es das deswegen gibt? Daher noch einmal meine konkrete Frage: Ist Ihnen bewusst, dass die kommunale Familie das für sich entscheiden sollte?

Vida (BVB/FW):

Also, ich habe Sie gerade positiv zitiert, ich habe es exakt so wiedergegeben, insofern ist die Frage nicht ganz nachvollziehbar. Ich habe deutlich gemacht, dass, während Ihr Fraktionskollege von einer „Entmachtung“ der Gemeindevertretung spricht, Sie dafür geworben haben, dass die Kosten transparent dargestellt werden und die Bürger mitbestimmen sollen und vor allem diese einseitige 90-%-Belastung nicht mehr gelten soll. Das ist genau Inhalt des Antrages, und insofern werte ich Ihre Aktivitäten in Oranienburg und auch diese Zwischenfrage als die höchste Form der Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall BVB/FW)

Ich werbe dafür, dass andere Abgeordnete der Koalition das auch vollziehen. Sollte Ihre Frage dahin gehend zu verstehen gewesen sein: Da müssen Sie aber schon nach Orten differenzieren, der eine Ort darf mitbestimmen und der andere nicht –

(Frau Walter-Mundt [CDU]: Jeder darf!)

so widerspreche ich dem ausdrücklich, denn bei der Mitbestimmung geht es nicht darum, ob es den Gemeindevertretern passt oder nicht, sondern darum, ob es den betroffenen Anwohnern, um die es geht – die nämlich dafür bezahlen sollen -, passt oder nicht.

(Beifall BVB/FW)

Deswegen: Wenn wir den Menschen in Bernau, den Menschen in Oranienburg die Mitbestimmung gewähren, dann sollten wir sie den Menschen auch in anderen Orten gewähren, denn sie werden nach dem gleichen Beitragsrecht, dem Kommunalabgabengesetz, zur Kasse gebeten. Es ist nicht einzusehen, warum in einem Ort Mitbestimmung möglich sein soll und in einem anderen nicht, wenn die Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung dieselbe ist.

(Beifall BVB/FW)

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie nochmals eine Zwischenfrage von Frau Abgeordneter Walter-Mundt?

Vida (BVB/FW):

Ja. – Ich möchte aber noch kurz hinzufügen, dass Oranienburg der Ort mit den meisten Unterschriften beim Volksbegehren zur Abschaffung der Erschließungsbeiträge war. Ich hoffe, das greifen Sie in der Frage auf.

(Lachen des Abgeordneten Dr. Zeschmann [BVB/FW])

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:

Frau Abgeordnete, bitte.

Frau Walther-Mundt (CDU):

Danke sehr, das ist meine letzte Frage, versprochen. Herr Vida, haben Sie gerade gesagt – habe ich Sie richtig verstanden -, dass es eine kommunale Aufgabe ist? Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen haben – wovon ich total ausgehe …

Vida (BVB/FW): Habe ich.

Frau Walther-Mundt (CDU):

… haben Sie festgestellt, dass dort steht, dass die Bürgerbeteiligung genau dort entschieden wurde, mit den gewählten Vertretern. Und genau dahin, in die kommunale Familie, gehört es. Deswegen sind wir uns in dem Punkt doch eigentlich total einig. Meine Frage ist, ob Sie es auch so sehen. – Danke schön.

Vida (BVB/FW):

Ich glaube, dass die kommunale Familie mehr ist als die Stadtverordneten und Gemeindevertreter, nämlich auch die Bürger, die in der Kommune leben und von der Beitragserhebung der Gemeindevertretung oder des Bürgermeisters betroffen sind. (Beifall BVB/FW) Die kommunale Familie sind die Menschen und die Vielfalt in den Städten und Gemeinden.

(Zuruf: Das hat sie doch gar nicht gefragt!)

– Doch, es geht um die kommunale Familie. Ich habe sehr genau zugehört, was ich jedes Mal tue, wenn die Kollegin spricht. – Also, auf jeden Fall: Die kommunale Familie besteht auch aus den Menschen, die dort leben. Und wenn wir in Oranienburg, in Bernau, in Fürstenwalde, in Teltow, in Hohen Neuendorf, in Neuruppin und auch in anderen Orten erkannt haben, dass es richtig ist, die Menschen mitbestimmen zu lassen, und dass das dort gut funktioniert, warum soll das nicht in anderen Orten gut funktionieren?

Ich glaube, dass die Individualität der Orte gegeben ist. Ich glaube aber auch, dass die Beitragsabrechnung nach Landesrecht erfolgt. Und dass man Landesrecht im Land einheitlich anwendet, ist eine sinnvolle Sache. Eine einheitliche Anwendung von Landesrecht im ganzen Land kann man nur unterstützen.

(Beifall BVB/FW)

Wenn man das um die Mitbestimmung ergänzt, haben alle etwas davon. Übrigens, auch die Kommunen haben etwas davon, denn wenn beispielsweise eine Straße nicht errichtet wird, spart die Kommune ihren Eigenanteil.

Und entgegen allen Unkenrufen ist es eben nicht so, dass in den Orten, in denen Mitbestimmung herrscht, pauschal nicht gebaut wird. Nein, die Bürger haben einen sehr guten Sensor dafür, zu differenzieren. Ich lade Sie dazu ein, sich das in Bernau anzuschauen. Dort ist es ungefähr so, dass die Hälfte der vorgeschlagenen Maßnahmen eher nicht befürwortet worden ist, die andere Hälfte aber sehr wohl, weil die Bürger eben nicht nur pauschal, auf Kosten anderer, wie ihnen unterstellt wird, Geld sparen wollen, sondern genau wissen: Okay, wo ist die Differenzierung zwischen persönlicher Belastung und Gemeinwohl und auch infrastruktureller Notwendigkeit? – Insofern ist das eine gute Sache.

Meine Damen und Herren, viele Vorschläge, die wir hier in den letzten Jahren unterbereitet und die Sie im Brustton der Überzeugung abgelehnt haben – frühzeitige Bürgerbeteiligung, kostengünstige Ausbauvarianten, rechtlich korrekte Abgrenzung zwischen Erschließung und Ausbau – haben im August in den neuen Gemeindestraßen-Leitfaden des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung Eingang gefunden.

(Beifall BVB/FW)

Wir begrüßen das sehr und danken dem Minister. Das Ministerium hat dazu eine ganz knappe Pressemitteilung gemacht, weil man sonst nur hätten schreiben müssen: Vorschläge von BVB / FREIE WÄHLER finden Eingang in Regierungshandeln. – Das wollten Sie nicht. Das Ministerium ist ja eher zurückhaltend in der Darstellung der Erfolge. Das ist ein hervorragender Erfolg gewesen, und wir freuen uns darüber; ich begrüße das.

Das zeigt aber vielleicht auch, dass nicht jeder Vorschlag der Opposition im Bereich der Erschließungsbeiträge es verdient hat, gleich den Todeskeim der Ablehnung von Ihnen entgegengeschleudert zu bekommen, sondern es wert ist, darüber nachzudenken. Genauso ist es mit diesem Antrag. Lassen Sie die Menschen mitbestimmen, wenn sie schon den Löwenanteil der Kosten zu tragen haben! – Vielen Dank.

(Beifall BVB/FW)

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