Philip Zeschmann zur Großen Anfrage von SPD, CDU, Grüne „Arbeitsmarkt in Brandenburg“ vom 12.10.2022

12. Okt 2022

Rede von Philip Zeschmann in Textform:

Dr. Zeschmann (BVB/FW):

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger! Meine Vorredner – vor allem vonseiten der Regierungskoalition, und ganz herausragend Herr Rüter – haben hier mit stolzem Unterton die Ergebnisse der Großen Anfrage zum Arbeitsmarkt präsentiert, und zwar nach dem Motto: Alles ist toll, alles ist super, alles entwickelt sich positiv! – Das habe ich übrigens schon vor mehreren Tagen in meinen Redeentwurf geschrieben, und es ist auch eingetreten. Sie verknüpfen damit noch andere tolle Erfolge und reden über „gute Arbeit“, Herr Rüter. Da muss ich sagen: Die gibt es wegen der anlaufenden Insolvenzwelle in diesem Land bald nicht mehr, wie im AWAE letzte Woche schon berichtet wurde.

Sie versuchen also, hier ein tolles Bild von großen Erfolgen zu zeichnen, und zwar mit den Daten zum Arbeitsmarkt, die das auf den ersten Blick auch bekräftigen. Auf den ersten Blick sieht all das toll aus: Tolle Statistiken, robuster Arbeitsmarkt, der sich von Jahr zu Jahr besser präsentiert hatte – hatte! Das ist die Statistik der Vergangenheit.

Wenn man das liest, stellt sich ein fader Beigeschmack ein, und ich sage Ihnen auch, warum: Ihre Darstellung von den Erfolgen und Aktivitäten deckt sich nicht wirklich mit dem Eindruck, den man gewinnt, wenn man mit den Menschen im Land ins Gespräch kommt. Die Lage erscheint in der Realität nämlich weit weniger rosig, als es uns die Statistiken hier glauben machen wollen. Und in der Tat: Sie beleuchten bei Ihren Fragen nur die offenbar guten Zahlen und Daten, in der Hoffnung, die vorhandenen Probleme im Dunkeln versteckt halten zu können. Ein konkretes Beispiel: Die in der Antwort auf Frage 12 dargestellte Zahl der Arbeitslosen in den letzten Jahren sowie die damit verbundene Arbeitslosenquote von 5,9 % sind zunächst erfreulich. Leider bildet diese Zahl aber nicht ansatzweise die tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt ab, denn: Arbeitslose, die krank sind, die einen Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, werden schon seit Längerem nicht mehr als arbeitslos gezählt, ebenso kommen diejenigen mit Kurzarbeit wie auch diejenigen mit Kurzarbeit Null – also diejenigen, die eigentlich arbeitslos sind

– (Zuruf des Abgeordneten Rüter [SPD])

nicht mehr in der Statistik vor. Weiterhin erscheinen die Arbeitslosen, die älter als 58 Jahre sind, schon seit 2009 nicht mehr in der offiziellen Statistik. Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Arbeitslose ebenfalls nicht mehr als arbeitslos, obwohl er keine Arbeit hat. Damit nicht genug, denn auch diejenigen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, fallen aus der Statistik. Das nennt sich dann lapidar: verfestigter Langzeitleistungsbezug.

In der Antwort auf Frage 15 muss man dies schon ziemlich zwischen den Zeilen herauslesen, denn hier wird lediglich in einem Halbsatz auf die – Zitat – „besonderen Herausforderungen im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit“ verwiesen. Da stellt sich doch die Frage: Was sind Ihre Lösungen, liebe Mitglieder der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung, um dieses Problem endlich anzugehen?

(Beifall BVB/FW – Rüter [SPD]: Sie müssten mal zuhören!)

Ein weiterer Kritikpunkt, den es hier ganz offen anzusprechen gilt, ist die Problematik der Jugendarbeitslosigkeit: Bei sage und schreibe 57 Fragen in Ihrer Großen Anfrage kommt keine einzige Frage zu diesem Thema vor. Stattdessen werden nur die Bewerberzahlen für Berufsausbildungsstellen sowie die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze abgefragt. So kann man auch versuchen, ein positives Bild zu schaffen.

Bedenklich finde ich an dieser Stelle die Zahl der Auszubildenden in der dualen Berufsausbildung. In der Antwort auf Frage 23 wird nämlich deutlich, wie drastisch die Anzahl der Auszubildenden gesunken ist – nämlich von 38 604 im Jahr 2010 auf 26 321 im Jahr 2020. Das ist ein erheblicher Rückgang von immerhin 32 %. Wie soll damit der Fachkräftemangel beseitigt werden, werte Mitglieder der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung?

Dass mittlerweile in unserem Land sogar ein Überangebot an Ausbildungsstellen existiert, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade im Handwerk – das wurde hier schon angesprochen – ein akutes Problem besteht, welches mittelfristig den Fortbestand der Handwerksbetriebe gefährdet. Was tun Sie konkret dagegen?

Dazu lese ich überhaupt nichts in dieser Anfrage; auch sind die Fragen nicht darauf ausgerichtet.

(Vereinzelt Beifall BVB/FW)

Dabei habe ich die aktuelle Energiepreiskrise und die damit verbundenen Sorgen der Unternehmen in Brandenburg – gerade auch der 78 % Kleinstunternehmen, also derer mit einem bis zehn Mitarbeitern – noch nicht einmal angesprochen.

Diese Krise hat zunehmend das Potenzial, all die in der Antwort auf die Große Anfrage zum Brandenburger Arbeitsmarkt dargestellten Ergebnisse auf einen Schlag obsolet werden zu lassen – wir erleben das gerade -; denn vielen Unternehmen steht aktuell das Wasser bis zum Hals. Ohne eine Eindämmung der rasant steigenden Energiepreise und sofort wirksame Hilfen droht uns hier in Brandenburg eine massive Pleitewelle. Dann sehen die Arbeitsmarktdaten ganz schnell ganz anders aus.

Deshalb gilt es, all unsere politische Kraft darin zu investieren, dieses Szenario abzuwenden, statt uns in der Momentaufnahme der Brandenburger Arbeitsmarktpolitik zu sonnen. Beschäftigen Sie sich, werte Koalitionsfraktionen, werte Landesregierung, stattdessen mit den angesprochen wirklich wichtigen Fragen der Zeit!

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