Amtsträger verbrannten 13 Millionen Euro durch illegale Spekulation – Geleaktes Dokument zeigt, dass Landesbehörden Schuldige schützten
Das geleakte Schreiben könnte noch brisant werden für den angeschlagenen Innenminister Michael Stübgen (CDU). Der Landtagsfraktion BVB / FREIE WÄHLER liegt ein dreiseitiges Schreiben aus Stübgens Ministerium zur Causa Manfred Reim vor. Dem ehemaligen Bürgermeister von Fürstenwalde wird vorgeworfen, beamtenrechtliche Pflichten im Zuge der Zins-Swap-Geschäfte auf Schweizer Franken verletzt zu haben. Dadurch ist der Stadt Fürstenwalde ein Schaden von rund 13 Millionen Euro entstanden.
In dem Aktenvermerk zur Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Manfred Reim werden die Fehler seines Vorgehens minutiös aufgelistet. Konkret verstieß das Abschließen solcher hochriskanter Finanzwetten laut den Erkenntnissen der zuständigen obersten Landesbehörde gegen mindestens fünf beamtenrechtliche Pflichten, unter anderem Wohlverhaltenspflicht, Treuepflicht und die Pflicht zum gesetzmäßigen Handeln. Bemerkenswert ist der Satz „Es liegt auch das für ein Dienstvergehen erforderliche Verschulden vor.“ Weiter heißt es in dem Schreiben, dass Reim seinem damaligen Kämmerer und späteren Bürgermeister Hans-Ulrich Hengst „zur Gewährleistung des gesetzlich vorgeschriebenen Vier-Augen-Prinzips ‚blind‘ vertraut“ habe.
Obwohl die Vergehen von Reim klar vom Ministerium als schuldhaft benannt werden und solche in Fürstenwalde abgeschlossene Zins-Swap-Geschäften schon immer für Kommunen verboten sind, gehen Innenminister Stübgens Mitarbeiter nur von einfacher Fahrlässigkeit aus. Durch diesen juristischen Kniff der „einfachen Fahrlässigkeit“ wird dann auch die Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens begründet. Wäre ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, hätte Reim womöglich seine Bürgermeisterpension verloren und die Stadt hätte einen Teil des verursachten Schadens dadurch ausgleichen können. Doch diese Angst braucht er nicht zu haben, da es im Ministerium offenbar eine schützende Hand gibt.
Denn die Einschätzung des Innenministeriums ist vor dem zeitlichen Hintergrund der getätigten Swap-Geschäfte weder glaubhaft noch plausibel. Wie hinlänglich bekannt, kollabierte am 15. September 2008 die amerikanische Investmentbank Lehmann Brothers und erzeugte ein Finanzbeben, das die weltweite Finanzwirtschaft in den Abgrund riss. Dadurch wurden auch die Risikopapiere in den Fürstenwalder Finanzbüchern immer problematischer, drehten sich noch stärker ins Minus und erzeugten hohe Verluste. Spätestens dann hätten die Verantwortlichen Hengst und Reim also die Reißleine ziehen müssen. Doch sie machten das Gegenteil. Am 24. November 2008, also rund 2,5 Monate nach dem weltweiten Finanzcrash, schlossen sie einen Vertrag zur zweiten Umstrukturierung der Zins-Swap-Geschäfte ab. Sie hofften dabei offenbar, ihre Verluste kaschieren zu können und womöglich sogar noch mit Gewinn abzuschließen. Stattdessen wurde vorsätzlich ein noch größeres Risiko eingegangen und im Ergebnis der Schaden dadurch noch größer.
So blauäugig kann man als langjähriger Spitzenbeamter bei Geschäften dieser finanziellen Dimension und dieses Risikos nicht sein. Zumal Reim das Verbot von hochriskanten Finanzprodukten für Kommunen gekannt haben musste, denn das Innenministerium hat bereits vor 2007 per Rundschreiben an die Kommunen darauf hingewiesen. Auch die Tatsache, dass diese Geschäfte an der Stadtverordnetenversammlung vorbei getätigt wurden, ist ein klares Zeichen, dass sich Reim und Hengst der Brisanz und des Risikos bewusst gewesen sein müssen. Hier dann von einfacher Fahrlässigkeit zu sprechen, während das weltweite Finanzsystem am Wanken ist und die Verluste schon überdeutlich sind, ist ein Schlag ins Gesicht ehrlicher Steuerzahler.
Ins Bild passt sodann ein weiterer Schritt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat die Ermittlungen gegen Hengst trotz Millionenschadens wegen „geringer Schuld“ und des angeblich „fortgeschrittenen Lebensalters“ des Beschuldigten (67 Jahre!) eingestellt. So kommt die Behörde zum Ergebnis, dass kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe. In der jüngsten Rechtsausschusssitzung verkündete Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU), dass sie das Handeln der Staatsanwaltschaft für vertretbar hält und sie keine Weisung erteilen will, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Während Ex-Bürgermeister also Millionen verzocken dürfen und keine Sorge haben müssen, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, schreitet das Innenministerium bei der politischen Instrumentalisierung von Disziplinarverfahren dagegen nicht ein. Denn zusätzliche politische Sprengkraft bekommt dieser ganze Vorfall bei der Betrachtung der aktuellen Vorgänge in Fürstenwalde. Bürgermeister Matthias Rudolph, der damals als Stadtverordneter federführend den Zins-Swap-Skandal um Hengst und Reim aufgedeckt hatte, muss sich einem an den Haaren herbeigezogenen Disziplinarverfahren stellen.
Und just während seine Gegner von CDU und SPD nun für einen Neuanfang werben und in einem Bürgerbegehren Unterschriften für Rudolphs Abwahl sammeln, erweitert der Landkreis Oder-Spree das Disziplinarverfahren um fünf weitere Punkte. Nicht eines der angeblichen Vergehen, die Rudolph vorgeworfen werden, ist von Art, Schwere und den Auswirkungen auch nur annähernd mit dem Swap-Skandal von Reim und Hengst vergleichbar.
Die zeitlichen Zusammenhänge zwischen dem Antrag auf Abwahl in der Fürstenwalder SVV, dem Beginn eines Abwahlbegehrens, der Einleitung und dann Erweiterung eines Disziplinarverfahrens gegen Rudolph bei gleichzeitiger Nichteinleitung eines Verfahrens gegen Reim und der Einstellung von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Hans-Ulrich Hengst sowie das Agieren der beteiligten Parteien, allen voran CDU und SPD, lassen nur einen logischen Schluss zu: Dass hier Recht und politischer Einfluss instrumentalisiert werden, um einen unbequemen Bürgermeister loszuwerden, um die alten Seilschaften wieder zu installieren
Die Landtagsfraktion wird diesen Vorgängen intensiv nachgehen. Die beiden zuständigen Minister Stübgen und Hoffmann werden sich zu diesen grotesken Sachverhalten und den Zeitabläufen erklären bzw. verantworten müssen.