Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger! Der Probebetrieb zwischen Joachimsthal und Templin Stadt wird mit dem RB 63 ab Eberswalde seit Dezember 2018 durchgeführt. Das sind immerhin schon jetzt fast vier Jahre.
In dieser Zeit hätten bereits wichtige Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Strecke, insbesondere die Beseitigung der Langsamfahrstellen, an denen maximal Tempo 40 gefahren werden kann, durchgeführt werden können und müssen, um die Fahrgastzahlen kontinuierlich zu steigern.
Durch die freiwillige Beteiligung der Kommunen an den Kosten des Probebetriebs und zusätzlich durch das Angebot, das fortzuführen, haben sie ihre Unterstützung und den Nutzen dieser Strecke mehr als deutlich gemacht. Die weitere Entwicklung der vorwiegend ländlichen Region mittels Tourismus aus dem berlinnahen Raum soll in der Zukunft ein noch wichtigerer Faktor der wirtschaftlichen Stärkung der Region werden.
Daher muss der Probebetrieb der RB 63 zwischen Joachimsthal und Templin Stadt bis Ende 2023 weitergeführt werden, um auch valide und belastbare Zahlen zur Nutzung nach der Coronakrise zu erhalten. Dazu ist es erforderlich, in einer Machbarkeitsstudie zur Ertüchtigung und zum Ausbau der Strecke die Attraktivität und den Nutzen zu evaluieren, sprich: Der Ausbau, den ich eben ansprach, muss mitgedacht werden. Ziel dabei ist es natürlich, die bereits reaktivierte Strecke in den Landesnahverkehrsplan hineinzubekommen; bislang ist sie nicht einmal in dessen Zielnetz enthalten.
Warum ist das auch unabhängig von den Erfordernissen in der Region notwendig? Der Anteil des Fuß- und Radverkehrs sowie des öffentlichen Personennahverkehrs – der sogenannte Umweltverbund – an allen zurückgelegten Wegen liegt in Brandenburg derzeit unter 40 %. Die Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag jedoch das Ziel verankert, den Anteil des Umweltverbunds bis 2030 – das sind, ganz nebenbei, nur noch acht Jahre – auf 60 % zu vergrößern und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das ist nur möglich, wenn für Pendlerinnen und Pendler sowie den Freizeitverkehr eine umweltfreundliche, kostengünstige und schnelle Alternative zum Auto geschaffen und ausgebaut wird.
(Beifall BVB/FW)
Eine erneute Einstellung des Schienenpersonennahverkehrs auf der nun seit fast vier Jahren betriebenen Strecke Joachimsthal-Templin Stadt widerspricht genau diesem für Brandenburg gesteckten Ziel, ist das falsche Signal und ermöglicht kein Umsteuern auch im Verkehrssektor.
Mit diesem Antrag können und müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, nun Farbe bekennen: Streben Sie ernsthaft einen deutlich größeren Anteil des Umweltverbunds am Modal Split – also die Zielperspektive von 60 % aus Ihrem Koalitionsvertrag – an, damit auch der Verkehrssektor einen wahrnehmbaren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und Erreichung Ihrer sehr sportlichen klimapolitischen Ziele leistet? Dann müssen Sie den RB 63 in den neuen Landesnahverkehrsplan aufnehmen und nach 2023, also nach dem Probebetrieb, in einen Regelbetrieb überführen.
Wenn Sie das nicht tun, geht landesweit der Glaube an irgendwelche relevanten Veränderungen im Verkehrssektor endgültig verloren, und Sie können Ihre verkehrs- und klimapolitischen Ziele eigentlich beerdigen. Wer soll dann, nach der völlig verkorksten Untersuchung potenziell reaktivierbarer Bahnstrecken – das hatten wir gerade vor der Mittagspause -, die von allen Seiten und den meisten Fachleuten als unzureichend und vor allem realitätsfern kritisiert wird und eigentlich in einer sinnvollen Art und Weise wiederholt werden müsste, noch daran glauben, dass es an irgendeiner wichtigen Stelle in Brandenburg zur Reaktivierung von Strecken kommen könnte?
Heißt es doch in der Antwort auf die Kleine Anfrage – daraus habe ich vorhin zitiert, und ich muss es noch einmal tun, damit es alle verstehen, denn Wiederholung hilft ja manchmal -:
„Die tatsächliche Zahl an potenziellen Fahrgästen im Umkreis ist daher in diesem Verfahren nachrangig gewesen.“
Also, eine Potenzialanalyse, die die tatsächliche Zahl von Fahrgästen im Umkreis als nachrangig bezeichnet, kann wohl nicht wirklich eine Potenzialanalyse gewesen sein.
(Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Genilke: Natürlich!)
Weiterhin heißt es:
„Die Durchführung einer vollständigen Nutzwertanalyse für jede der untersuchten Strecken und Stationen wäre zudem – bei abschätzbar ähnlichen Ergebnissen – mit einem um das Vielfache erhöhten Aufwand und Kostenbudget einhergegangen.“
Mit anderen Worten: Das Budget hat es nicht hergegeben.
Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass die Reaktivierungsstudie absichtlich so realitätsfern – vom grünen Tisch aus – durchgeführt wurde, um das vom CDU- Verkehrsminister vorgegebene Ergebnis, am Ende gar keine Strecken zu reaktivieren, zu untermauern und auf diese Weise die Verkehrswende-Blütenträume des grünen Koalitionspartners auszubremsen.
Mit dem Abstimmungsverhalten der Koalitionsfraktionen als Lackmustest wird uns heute also die Ernsthaftigkeit der Bestrebungen der Koalition, ganz besonders der CDU, zu einer Verkehrswende vor Augen geführt. Deshalb bin ich sehr gespannt auf die nachfolgende Debatte.