Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Es geht um nichts weniger als die Verlässlichkeit des Rechtsstaates – eines Rechtsstaates, der den Bürgern Abwehrrechte gegeben hat, der die Bürger als Träger von Rechten begreift, in dem jedes Individuum zählt; eines Rechtsstaates, der glaubwürdig bleibt und nicht übergriffig wird – kurzum: eines Gemeinwesens, das auf dem Prinzip der Augenhöhe aufbaut. Das wurde durch die Aussagen einiger Justizminister in den vergangenen Wochen erschüttert. Hiernach soll es möglich sein, Corona-Kontaktdaten für Zwecke der Strafverfolgung zu verwenden – etwas, was vor zwei Jahren nicht nur unmöglich schien, sondern allenthalben in allen politischen Kreisen ausgeschlossen wurde. Es geht hier um eine juristische und eine gesellschaftliche Dimension. Juristisch sagen wir: Die Zweckbestimmung im Gesetz ist eindeutig; es baut auf der Verfolgung von Infektionsketten auf, die Daten sollen nur dafür erhoben und verwendet werden. – Das war das Verständnis in der gesamten politischen Kommunikation, und das war in den letzten beiden Jahren eindeutig.
Justizministerin und Innenminister haben beteuert, dass es entsprechende Weisungen und Regelungen nicht gebe. Auf mehrfache Nachfrage hier im Landtag – im Rechtsausschuss, im Innenausschuss – wurde beteuert, so etwas gebe es nicht. Nun erfuhren wir gestern Abend in einem Bericht des RBB, dass es bereits seit Herbst 2020 eine zwischen Polizeipräsidium und Generalstaatsanwaltschaft abgestimmte Position zur Verwendbarkeit der Daten gibt. All dies wurde uns sowohl gestern als auch im Rechtsausschuss verschwiegen – durch Unterlassen! Meine Damen und Herren, Sie haben also gegenüber den zuständigen Gremien des Landtages keine volle Information gegeben, Sie haben nicht die volle Faktenlage, Sie haben nicht die volle Wahrheit dargelegt! Dies, meine Damen und Herren, ist auch nicht durch Wortklauberei schönzureden. Der Innenminister hat ja davon gesprochen: der von der Weisung, der von der Regelung. – Nein, meine Damen und Herren, die Fragen waren eindeutig, und Sie haben sich um die volle Wahrheit gedrückt!
Wie ist die Lage in Deutschland? Zwölf Justizministerien – 12 von 16 – sagen, dass die Datenverwendung nicht zulässig sei. Das Bundesjustizministerium – eine durchaus anerkannte Behörde in unserem Land – sagt – Zitat:
„Der Zugriff auf Daten der Luca-App zu Zwecken der Strafverfolgung verstößt gegen ausdrückliche Bestimmungen des Bundesrechts.“
Punkt! – Justizministerin Hoffmann sagt: Na ja, wir haben ja Gerichte. – Frau Ministerin, Rechtsstaat bedeutet, dass schon die Behörde rechtmäßig handelt und das anstrebt und nicht auf die Gerichte verweist.
Die Regelungen des Bundesgesetzes, die Position des Bundesjustizministeriums, die Position von 12 von 16 Landesjustizministerien sind eindeutig, doch die Justizministerin Brandenburgs weiß es wieder besser.
Doch, meine Damen und Herren, es geht hier um mehr: Nähme man an und unterstellte, die Regelung sei unklar – wenn es also so wäre -, dann darf der Staat das nicht ausnutzen. Er darf eine Fehlannahme in der Bevölkerung durch Schweigen nicht ausnutzen. Wenn es das Ziel sein muss, mit dem Vertrauen der Bevölkerung und dem Rechtsstaat sorgsam umzugehen, dann wohl bei Strafverfolgung im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen.
Der Rechtsstaat wird seit Monaten auf die Probe gestellt, unklare Maßnahmen gekoppelt mit einem Hin und Her der Experten haben uns allen die psychologisch dünne Decke vor Augen geführt. Seit zwei Jahren werden wir teils mit hanebüchenen Verschwörungstheorien konfrontiert. Dies befördert durch ein unklares Hin und Her der politischen Entscheider weiteren Vertrauensverlust. Viele Bürger waren trotzdem nachsichtig und konnten die Fehler, die nun mal passieren, gut einschätzen. Diese starke und nachsichtige Mitte der Gesellschaft würde aber erstmals ins Grübeln kommen, wenn die Politik den klaren Versprechen widerspricht, die klaren Versprechungen bricht. Doch genau das tut die Landesregierung, und dabei spielt es – sehen Sie es mir nach – keine Rolle, ob es schon einen Fall gegeben hat oder Lockerungen jetzt kommen werden. Es geht um die Rechtsposition, von der die Behörden jederzeit Gebrauch machen könnten.
Im Übrigen ist die Datenaufbewahrungspflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen weiterhin gültig. Und derartige Ankündigungen bewerten wir nach ihrem Inhalt und nicht erst, wenn etwas passiert, sondern wenn die Rechtslage als solche vermeintlich dargestellt wird. Im Falle von Bürgerrechten tun wir das idealerweise vorher. Und im Hinblick auf mögliche Verschärfungen im Herbst, die ja kommen könnten – vor denen uns Gott bewahre, aber die kommen könnten -, müssen wir uns diesem Problem natürlich jetzt stellen.
Meine Damen und Herren, wir sind darauf angewiesen, dass der Bürger die notwendigen Maßnahmen mitträgt und in bestimmten Situationen, die einst Anonymität garantierten, Daten auch offenbart. Das wird der Bürger nur tun, wenn er glaubt, dass der Staat verantwortungsvoll damit umgeht und eben nicht andere Zwecke im Schatten des Offensichtlichen verfolgt. Und selbst wenn der Gesetzgeber diese Nutzung erwägt, dann soll er dies klar sagen, in einem offenen und transparenten Verfahren, und die Bürger über die Nutzung in Kenntnis setzen. Sobald diese Nutzung aber en passant in den Ministerien hinter verschlossenen Türen, mit einer schmallippigen Informationspolitik gegenüber den zuständigen Kontrollgremien und ohne Öffentlichkeit beschlossen bzw. gebilligt wird, verlieren wir das Vertrauen vieler Bürger unwiederbringlich.
Ziel ist es, jedem die Wahl zu lassen, ob er ein gläserner Bürger werden möchte oder nicht. Ausgerechnet im Bereich der staatlichen Tätigkeit mit der größten Grundrechtsrelevanz – Corona – spielen Justiz und Innenministerium ein rechtspolitisches Versteckspiel. Während der Bundesgesetzgeber die Sicherheit der Daten vorspiegelt, behält sich die Brandenburger Landesregierung vor, jede kleine Unklarheit zulasten der Grundrechte der Bürger auszulegen; nicht nur das, man möchte diese Unklarheit auch noch mit allen Kräften verteidigen, entgegen den Hinweisen der allermeisten Justizbehörden. Daher, meine Damen und Herren, ist die Schaffung klarer Verhältnisse zwingend geboten.
Wir sehen uns damit übrigens auch in Übereinstimmung mit dem App-Betreiber, der eine derartige Datenverwendung auch ausschließen wollte und will. Und wir sehen uns im Gleichklang mit den allermeisten Datenschützern, so auch der Brandenburger Landesdatenschutzbeauftragten, die gestern erklärte – Zitat: Der Vorschlag geht gar nicht, weil das Gesetz eindeutig ist.
Meine Damen und Herren, diesen Gleichklang gebietet der gesunde Menschenverstand, diesen erwarten die Bürger von uns. Daher müssen wir Bürgerrechte, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung mit dem ihnen gebührenden Stellenwert durch eine Bundesratsinitiative zur Klarstellung des Gesetzes wieder versehen und mit dem entsprechenden Neudruck eine Datenverwendung bis auf Weiteres unterbinden. – Vielen Dank.