Péter Vida zur Aktuellen Stunde „Direkte Demokratie und Ehrenamt in Pandemiezeiten“ – 20.01.2022

20. Jan 2022

Rede von Péter Vida in Textform:

Péter Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Verfassung des Landes Brandenburg gebietet ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Gesetzgebung durch Parlament und Bevölkerung. Dabei darf sich ein Staatswesen, das es mit seiner Verfassung ernst meint, nicht damit begnügen, Voraussetzungen in Textform zu schaffen, sondern muss ein echtes Leben dieser Möglichkeiten bieten. Das ist keine Träumerei idealistischer Bürgerbewegter, sondern das Gebot unserer Verfassung: allen Bürgerbewegungen ohne Ansehen der Person und des Inhalts freie, faire, gleiche und echte Chancen zur Umsetzung zu bieten.

Meine Damen und Herren, von diesen Überlegungen ließ sich der Landtag leiten, als er im Frühjahr 2020 – auf Vorschlag der Linken – die Frist für Volksinitiativen um 50 % verlängerte. Begründung damals:

„Angesichts der staatlichen Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gibt es für […] Volksinitiativen keine Möglichkeit, in der breiten Öffentlichkeit für ihre Volksinitiativen zu werben und Unterschriften auf der Straße zu sammeln.“

Dasselbe galt, als der Landtag im Herbst 2021 die Anzahl der im Amt zu sammelnden Unterschriften für Bürgermeister um 50 % senkte und erklärte, dass die pandemiebedingten Regelungen zu erheblichen Beschränkungen der Kontaktaufnahme und zur Veränderung der politischen Kommunikation geführt haben, sodass für Unterstützerunterschriften erschwerte Bedingungen gelten.

Meine Damen und Herren, eine Volksgesetzgebung lebt nun einmal davon, dass sie Inhalte zum Gegenstand hat, die im Landtag keine Mehrheit haben. Daher haben derartige Initiativen nur Aussicht auf Erfolg, wenn nicht nur die erste Stufe, sondern auch die zweite – das Volksbegehren – unter fairen Bedingungen durchgeführt werden kann. Ein Volksgesetzgebungsverfahren, das auf den Goodwill des Parlaments angewiesen ist, ist ein stumpfes Schwert und nicht im Sinne der Verfassung.

Meine Damen und Herren, während drei Volksinitiativen von der Fristverlängerung Gebrauch gemacht haben, wird dem derzeit einzigen laufenden Volksbegehren dieses Recht abgesprochen. In der Debatte im April 2020 erklärte Herr Keller, SPD, man müsse in Zusammenhang mit der Fristverlängerung für Volksinitiativen prüfen, ob auch weitere Gesetze und Fristen angepasst werden müssen. Kollege Bretz von der CDU wurde konkreter; er klärte:

„[W]ir glauben aber, dass man sich darüber hinaus auch anschauen muss, welche rechtssystematischen Folgen das zum Beispiel für […] Volksbegehren hat.“

So hieß es damals. Heute hören wir in Ihren Pressekonferenzen: Das Thema zieht nicht. Deswegen haben sie Probleme mit den Unterschriften. – Meine Damen und Herren, woher wollen Sie das wissen? Wenn man keine Leute ansprechen, keine Versammlungen und Veranstaltungen abhalten kann?! Nein, meine Damen und Herren, es zeigt sich vielmehr: Damals so, heute so – wie es gerade passt, je nach Inhalt der Volksinitiative oder des Volksbegehrens!

Umso erschreckender, dass auch die Bürgerrechtspartei der Grünen in Person des Fraktionsvorsitzenden Raschke gerade so redet und sagt: Das Thema zieht nicht; deswegen haben sie Probleme. – Als die Volksinitiative „Verkehrswende“, die von allen Abgeordneten der Grünenfraktion unterstützt worden ist, Probleme hatte, die 30 000 Unterschriften auf der Straße zusammenzubekommen, haben Sie eine Fristverlängerung auf 18 Monate beantragt, um die 30 000 zu schaffen. Da lag es an Corona, nicht am Thema; die Fristverlängerung wurde gewährt.

Aber hier beim Volksbegehren „Sandpisten“ unterstellen Sie, es liege am Thema, obwohl unsere erste Stufe – die VI – gerade einmal zwei Monate für 32 000 Unterschriften brauchte. Und die, die 18 Monate brauchten, erzählen, es liegt am Thema! Angesichts dessen, meine Damen und Herren, so zu tun, als liege es nicht offensichtlich an Corona – an den Beschränkungen -, ist wohlfeil und eine Absage an den ernsten Willen, direktdemokratische Strukturen wirklich zu verteidigen.

Es lohnt sich daher ein Blick darauf, meine Damen und Herren, wie es wirklich ist. Das Volksbegehren sieht sich massiven pandemiebedingten Erschwernissen ausgesetzt: Werbung im öffentlich Raum ist kaum möglich. Veranstaltungsräume sind kaum buchbar, und wenn, dann bleiben Bürger aus Angst vor einer Infektion fern. Kommunikationswege sind erschwert oder verlangsamt. Das, meine Damen und Herren, sind Feststellungen, die Sie – alle Parteien, die Sie da sind – für alle gesellschaftlichen Bereiche – auch in Teilen – in Ihren Gesetzen getroffen haben. Nur bei Volksbegehren wird in Abrede gestellt, dass das so sei – mit der Erklärung des Innenministers: Die können ja Briefwahl machen.

Tatsache ist, meine Damen und Herren, dass die Beschränkungen trotzdem wirken. Das Argument, man könne Briefwahl machen, ist völlig hohl; denn bevor die Leute Briefwahl machen, muss ich sie ansprechen: Ich muss dafür werben, ich muss in ein Gespräch kommen, ich muss sie bitten, Listen zu verteilen – und diese Möglichkeiten sind ja nicht gegeben. Hinzu kommen nicht geöffnete Rathäuser – und die meisten sind nicht offen -, sodass Unterschriften von Laufkundschaft – die bei den letzten Volksbegehren im Schnitt über 60 % ausmachten – kaum möglich sind.

Und, Herr Innenminister, die Briefwahl funktioniert eben nicht ebenbürtig. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nach drei Monaten mitteilen: Manche Kommunen stellen die Rechtmäßigkeit der Briefwahlbeantragung per E-Mail infrage und versenden keine Umschläge. Dutzende Kommunen haben keine Umschläge bestellt, in denen sie die Briefwahlunterlagen versenden könnten. Die mangelnde Besetzung der Rathäuser wegen Corona führt natürlich auch zu einer verzögerten Bearbeitung: Mailbestellungen von Briefwahlunterlagen werden nicht gelesen, geblockt, gefiltert oder gelöscht. Wegen Personalmangels erfolgte in manchen Kommunen der Beginn der Bearbeitung mit anderthalb Monaten Verzug – bei einem sechsmonatigen Volksbegehren! Zahlreiche Kommunen haben weiterhin keinen Hinweis auf das Volksbegehren auf ihrer Website, sodass der Verweis darauf, die Menschen könnten alles bequem online machen, blanker Hohn ist!

In etwa 50 bis 60 Orten – Hauptverwaltungseinheiten -, meine Damen und Herren, sind Mängel festzustellen, sodass von einem Nettoverlust von ca. 15 000 Unterschriften auszugehen ist. – Herr Redmann, diese Despektierlichkeit spricht Bände, insbesondere die Aussage: Die können ja im April noch unterschreiben. – Nein, sie können die Briefwahl eben nicht im April beantragen, weil es auch Postlaufzeiten gibt – das sollte auch bei der CDU angekommen sein!

Meine Damen und Herren, es verletzt uns zutiefst in unserem demokratischen Verständnis, wenn all dies trotz präziser – ortsbezogener, tagbezogener – Dokumentation gegenüber dem Innenministerium und dem Landeswahlleiter schulterzuckend hingenommen wird. Es missachtet die ehrenamtliche Arbeit der vielen, die allen Widrigkeiten zum Trotz alles geben, um eine demokratische Mitwirkung zu ermöglichen.

Gerade in Pandemiezeiten wollen wir das doch Ehrenamt stärken und es nicht frustrieren. Ein Drittel der Brandenburger engagiert sich ehrenamtlich und erlebt Mittelkürzungen in allen Bereichen. Sie haben schon jetzt zum Teil mit Erschwernissen in den Zusammenkünften, bei der Vereinsarbeit und der Gremienarbeit zu kämpfen. Damit gehen Bindeglieder in den Kommunen – weit über den Wirkungskreis ihrer eigentlichen Tätigkeit hinaus, als Schmelztiegel in der Gemeinde – verloren. Deswegen wollen wir alle Formen des Ehrenamtes unterstützen – ob freiwillige Feuerwehren, Ortschronisten, die Nachbarschaftshilfe oder auch Vertrauenspersonen eines Volksbegehrens.

Meine Damen und Herren, der Landtag kann die Augen nicht davor verschließen, dass wir uns in einer kritischen Phase der Pandemie befinden. Die Einschränkungen betreffen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – Wirtschaft, Soziales, Kultur, Bildung, Politik. Und in all diesen Bereichen gibt es Sonderregeln und Erleichterungen. Der Landtag kann nicht die Augen davor verschließen, dass es beim Volksbegehren genauso ist. Die Aufrechterhaltung der Funktionalität demokratischer Institutionen und Strukturen auch in Pandemiezeiten ist ein hohes Gut. Dasselbe muss auch für die direktdemokratische Mitbestimmung gelten.

Ein Landtag, der nur bei Volksinitiativen Erleichterungen gewährt und bei einem laufenden Volksbegehren nicht, der entwertet dieses Institut damit sehenden Auges. Das sollten Sie nicht zulassen!

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