Aussprache zum Impfgipfel – Péter Vida zu Impfen, Testen und Öffnen

29. Apr. 2021

Viele Bürger akzeptieren nach einem halben Jahr Dauer-Lockdown keine Durchhalteparolen mehr. Sie verlangen nach Erleichterungen. Doch auf den Regierungsbänken sind solche Forderungen verpönt – selbst wenn der Infektionsschutz gewahrt bliebe. Wer neue Lösungen vorschlägt oder gar erprobt, wird zum Ziel verbaler Angriffe.

Viele der Angriffe gehen von den gleichen Personen aus, die für den schleppenden Fortschritt der Impfkampagnen im ersten Quartal mit verantwortlich sind, etwa Gesundheitsministerin Nonnemacher (Grüne). Warnungen, Kapazitäten und Ressourcen bereitzustellen, wurden von der Landesregierung als störendes Gemecker bezeichnet.

Die EU hat es verschlafen, rechtzeitig ausreichend Impfstoff zu bestellen, hatte aber noch Zeit und Energie, mit mahnendem Zeigefinger über andere zu dozieren, etwa das inzwischen fast durchgeimpfte Großbritannien. Derweil belehren uns die Grünen in Berlin, man dürfe aus Solidarität mit Nawalny keinen russischen Impfstoff bestellen. Auch wenn Hans Klug, der Regionaldirektor der WHO für Europa, das anders sieht.

Positiv ist, dass im April bundesweit die Impfgeschwindigkeit gestiegen ist. So muss es weitergehen – hier sollten alle zugelassenen Impfstoffe und alle Ressourcen genutzt werden:

  • Impfungen durch Hausärzte ausweiten
  • mobile Impfteams besser nutzen (wie etwa in Rheinsberg)
  • bevor Astrazeneca liegen bleibt: lieber Priorisierungsreihenfolge ändern/aufheben, bevor es ungenutzt herumliegt – entsprechende Maßnahmen sind nicht „unseriös“, wie sie die Landesregierung bezeichnete, sondern sachgemäß und sinnvoll
Testen & Öffnen

Vor dem „Impfgipfel“ verschickte die Bundesregierung ein Eckpunktepapier. Zitat hieraus: „Den Staat trifft aber auch die Pflicht, die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen laufend zu beobachten und im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit laufend neu zu bewerten.

Einschränkungen sind danach gerechtfertigt, soweit und solange sie einen Beitrag gegen die Ausbreitung des Coronavirus sowie insbesondere zur Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems leisten können, mildere, ebenso geeignete Mittel nicht zur Verfügung stehen […].“

Dieser Pflicht wurden die Landtage durch die Beschlussfassung in Bundestag und Bundesrat teilweise entledigt. Brandenburgs Landesregierung hat sich selbst dieser Pflicht entledigt – indem sie kritiklos der Notbremse zustimmte.

Während die Debatte heiß her ging und aufflammte, kam die trockene Meldung „Brandenburg ist dafür“ – dabei war es nicht „Brandenburg“, sondern die Landesregierung von Brandenburg – die somit leichtfertig die Chance vergab, hier in Brandenburg Lösungen zu suchen und zu finden. Es ist zynisch, dass sie noch in der letzten Sitzung einen Antrag durchbrachten, der „landesspezifische Maßnahmen für Brandenburg“ fordert, während sie wenige Wochen später jede Steuerungsmöglichkeit aufgeben und dafür der Bundesregelung zujubeln.

Noch im Januar begrüßte der Ministerpräsident, dass Ausgangssperren nicht mehr in der MPK vereinbart worden sind. Im April hat er Ausgangssperren ab 100 für absolut notwendig erklärt, obwohl die Inzidenz im Januar viel höher lag und Risikogruppen noch nicht geimpft waren. Dieser völlige Widerspruch ist der Grund, warum die Maßnahmen auf immer weniger Akzeptanz stoßen.

Es genügt eben nicht, nur auf eine steigende Inzidenz zu verweisen. Man muss bei Maßnahmen prüfen, ob sie anderswo gewirkt haben, ehe man sie erlässt. Und auch laufende Maßnahmen sind bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse hinterfragen. Denn nur bei wirksamen Maßnahmen ist die Grundlage für gravierende Grundrechtsbeschränkungen gegeben. Die Landesregierung wären in der Pflicht, nachzuweisen, was die einzelnen Maßnahmen bringen und darzulegen, warum die Schließung von Gastronomie, von touristischen und kulturellen Einrichtungen notwendig sei. Und warum mildere Mittel wie Testprogramme nicht in Frage kommen.

Doch dies erfolgt nicht. Studien, die darlegen, dass diese Bereiche ohnehin kaum Einfluss haben und mit Tests und Masken das Risiko auf faktisch null reduziert wird, werden nicht beachtet. Hinzu kommt eine nächtliche Ausgangssperre. Erst vom Ministerpräsidenten erlassen. Nun kann man die Schuld auf die Corona-Notbremse abschieben. Dabei hat die Universität Gießen nun erneut in einer Studie gezeigt, dass dieses Vorgehen in den Landkreisen Hessens nicht zur Eindämmung des Corona-Virus beigetragen hat. Wo ist bei diesen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit und deren laufende Neubewertung? Also das, was sich die Bundesregierung ins Eckpunktepapier geschrieben hat?

Stattdessen wird stur an wirkungslosen Maßnahmen festgehalten oder an unnötig harten Maßnahmen, deren Wirkung sich auch mit milderen Mitteln erreichen ließe. Und jedem, der das kritisiert oder gar im Modellversuch andere Wege testen will, harscht es entgegen: Wie könnt ihr nur, die Zahlen steigen doch!

Dabei wird das doch gar nicht bestritten! Es geht darum, Aktivitäten zu ermöglichen, während man das Infektionsrisiko nahe null hält. Und das ist durchaus möglich. Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie und Sportanlagen waren schon nach Maskenpflicht und Hygienekonzept keine nennenswerten Infektionstreiber mehr. Mit Vorab-Test hätte man das ohnehin geringe Restrisiko beseitigen können.

Dennoch wurden all diese Aktivitäten pauschal verboten. Und in ihrem Elfenbeinturm glaubten die Schöpfer dieser Gesetze, die Bürger würden sich dauerhaft zu Hause einschließen. Diese Annahme ist weltfremd. Ein paar Tage oder gar Wochen machen die Bürger das mit, aber nach mehreren Monaten sorgten die Verbote vor allem für Ausweichverhalten.

Wenn Treffen im relativ sicheren Freien, oder selbst mit Tests in Restaurants verboten sind, zieht man sich ins verborgene der Privatwohnungen zurück. Ohne Hygienekonzept und ohne Test, aber dafür natürlich mit erheblich höherem Infektionsrisiko. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Reaktion zu erwarten ist. Und die neusten Infektionsumfeldbetrachtungen des RKI zeigen, dass genau das passiert. Zwei Drittel der Ausbrüche mit bekanntem Infektionsumfeld betreffen inzwischen Ausbrüche in Privathaushalten, wobei die Inzidenzen jedoch insgesamt nicht sanken.

Wenn Einrichtungen wie Restaurants mit dem Modell „Testen und Öffnen“ zur Verfügung stehen, finden viele dieser Treffen stattdessen unter Infektionsschutz statt. Solange nicht genug Impfstoff vorhanden und die Inzidenz hoch ist, plädieren wir daher für die Methode „Testen & Öffnen“. Es war und ist für uns erschreckend, zu sehen, mit welch einer Kaltschnäuzigkeit und Wissenschaftsferne diese Modelle in Brandenburg ad acta gelegt, verhöhnt und lächerlich gemacht wurden.

Während die Modelle in zahlreichen Teilen Deutschlands liefen, erklärte die Gesundheitsministerin im zuständigen Ausschuss den staunenden Abgeordneten: Alles Quatsch, funktioniert nicht, sind gescheitert. Die regelmäßige, völlig substanzlose Erklärung: Die Zahlen steigen dort. Das taten sie aber auch in den Regionen mit Lockdown. Nach der Logik wäre der Lockdown also erst recht gescheitert.

Testen & Öffnen im Vergleich zum Lockdown

In Wirklichkeit muss man natürlich schauen, wie sich die Zahlen langfristig im Vergleich verschiedener Methoden entwickeln. Haben sich die Zahlen mit dem Modell „Testen und Öffnen“ nach mehreren Wochen schlechter, besser oder gleich gut wie in der Vergleichsgruppe der Gebiete mit Lockdown entwickelt?

Der Gipfel: Die Ministerin verstieg sich gar dazu, zu erklären, das Saarland sei mit seinem Modell kläglich gescheitert. Das Saarland hat eine hohe Bevölkerungsdichte und liegt nahe am französischen Hochinzidenzgebiet Elsass – und hat dabei eine deutlich niedrigere Inzidenz als fast alle anderen Bundesländer im Südwesten Deutschlands. In einer Umgebung mit Inzidenzen von 180 bis 200 liegen Saarland und Rheinland-Pfalz um 40-50 Punkte unter ihren Nachbarbundesländern. Und beide Bundesländer hatten das Modell „Testen und Öffnen“, auch wenn das im Fall von Rheinland-Pfalz bundesweit kaum beachtet wurde.

Doch Brandenburgs Gesundheitsministerin erklärt, es sei das Modell „Testen und öffnen“, das kläglich gescheitert sei. Denn die Inzidenzen im Saarland seien angestiegen.

Wenn Sie vom Anstieg reden, vergleichen wir mal alle Bundesländer, die an Frankreich angrenzen – und zwar im Zeitraum von der Öffnung im Saarland am 6. April bis Montag 26. April:

Saarland: +54 Punkte
Rheinland-Pfalz: +34 Punkte
Baden-Württemberg mit dem angeblich überlegenen Lockdown: +77 Punkte.

Beide Länder mit „Testen und Öffnen“ schneiden sowohl beim Anstieg als auch beim Endergebnis besser ab als das Land, das stattdessen den Lockdown wählte. Aber „Testen und Öffnen“ soll gescheitert sein?

Ein weiterer Trick, mit dem Modellversuche schlechtgeredet werden: Sie fanden meist in Regionen mit sehr niedrigen Ausgangswerten statt, wodurch selbst ein kleiner nominaler Anstieg sich in einem hohen prozentuellen Anstieg äußert. So werden von Verfechtern des Lockdowns gern irreführend nur die prozentualen Anstiege genannt, die absoluten Anstiege verschwiegen. So auch in Tübingen. Verfünffacht habe sich die Inzidenz! Aber in Baden-Württemberg „nur“ verdreifacht.

Dass die Inzidenz in Tübingen nur um 60 Punkte stieg, im gleichen Zeitraum im restlichen Baden-Württemberg aber um 120 Punkte, wird verschwiegen. Doch diese nominalen Werte sind die Werte, die tatsächlich für mehr neue Intensivpatienten sorgen. Auch die Uniklinik Tübingen hatte sich für eine Fortsetzung mit kleinen Anpassungen ausgesprochen. „Testen und Öffnen“ funktionierte in Tübingen also besser als der Lockdown in den restlichen 99 % des Bundeslandes.

Doch auch im Fall von Tübingen beteiligte sich unsere Gesundheitsministerin am Spiel des Schlechtredens. Sie behauptete wahrheitswidrig, die dortigen Verantwortlichen hätten eingesehen, dass es gescheitert sei. Richtig ist stattdessen: In Tübingen wurde das Modell aufgrund der folgenschweren Entscheidung in Berlin zwangsweise eingestellt – gegen den Willen der Verantwortlichen und gegen den Willen des Großteils der Einwohner. Bei einer Inzidenz, die halb so hoch lag wie im Schnitt des Landkreises. Und auch Berlin verfolgt weiterhin das Modell „Testen und Öffnen“, ebenso Schleswig-Holstein, das Bundesland mit den niedrigsten Inzidenzen.

Es ist unverantwortlich, dass mit solch einer unwissenschaftlichen Grobschlächtigkeit Modelle ignoriert und andere Regionen für hinterwäldlerisch erklärt werden. Dabei hat doch der Landtag vor einem Monat genau das beschlossen: In Drucksache 7/3269 forderte die Koalition, Modellregionen für Brandenburg einzurichten. Am 24.03. war das – doch die Landesregierung denkt nicht daran, diesen Beschluss des Landtages umzusetzen.

Und der Landtagsmehrheit, die den Antrag eingebracht hat, der ist es egal, dass ihr Antrag keine Umsetzung findet. Stattdessen wurde – wie schon beschrieben – über alle, die diese Modelle betrieben, hergezogen. Und dabei geht es darum, all jenen, die mitunter seit Monaten geschlossen sind, eine Verbesserung zu bieten, ohne dass dies das Infektionsrisiko erhöht.

Die Vorteile des Modells „Testen und Öffnen“ liegen auf der Hand:

  • Grundrechte werden weitestgehend gewahrt
  • schnelleres Erkennen von Infektionsketten
  • zunächst steigen die Zahlen natürlich, weil mehr getestet wird – ABER:
  • mittelfristig sinken die Zahlen UND man hat Öffnung

Und das ist auch ein Wert: geht schnell mal unter bei einigen – aber wenn wochenlang Geschäfte, Einzelhandel etc. offen haben dürfen, ist das ein großer Wert, den man einpreisen muss. „Testen und Öffnen“ ist ein milderes Mittel, dem bei ähnlicher Wirkung auf das Infektionsgeschehen der Vorzug zu geben ist.

Das Modell bietet auch einen eleganten Ausweg aus der Debatte um die angeblichen „Privilegien“ für Geimpfte. Sie brauchen gar keine Privilegien! Die Impfung gilt lediglich als andere Form des Nachweises, höchstwahrscheinlich nicht infiziert zu sein. Der Nachweis der Impfung kann einfach an Stelle eines tagesaktuellen, negativen Tests genutzt werden – ebenso der Nachweis über eine überstandene COVID-19-Infektion.

Welchen Lösungsvorschlag hat hingegen der Impfgipfel für das Problem gegeben? Gar keinen. Das Problem wurde nur vor sich hergeschoben. In einem Monat wollen sie im Bundesrat entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Rechte die Geimpften zurückerhalten.

Bei all diesen Vorteilen ist es unverständlich, dass viele dieser Modellprojekte von der Bundesebene faktisch zwangsweise beendetet wurden. Wir halten es für einen Fehler, die Entscheidungen auf die Bundesebene zu verlagern. Landesregierungen können sich so aus der Verantwortung stehlen, während Modellversuche und Entscheidungen nach lokalen Gegebenheiten kaum noch möglich sind und uns nutzlose Maßnahmen aufzwingen.

Deswegen begrüßen wir Verfassungsbeschwerden, die sich gegen den pauschalen, undifferenzierten Lockdown wenden, den Ländern die Zuständigkeit zurückgeben und Ausgangssperren kippen wollen. Zugleich werben wir für eine klare Differenzierung mit Stufen, die verschiedene Öffnungen und Lockerungen ermöglichen und für eine Ausweitung des Modells „Testen und Öffnen“. So, wie es beispielsweise in Schleswig-Holstein praktiziert wird – wo ein Stufenplan festlegt, unter welchen Bedingungen Öffnungen erfolgen, wann verschärfte Hygienevorschriften gelten und bei welchen Werten auf „Testen und Öffnen“ umgestellt wird.

Denn nichts anderes passiert im Übrigen auch bei den Schulen in Brandenburg, was wir ausdrücklich begrüßen. Warum geht das nicht auch in anderen Bereichen, bis die Impfungen mehr Wirkung zeigen?

Ausblick

Wir werben für einen Weg, der Freiheitsrechte würdigt und zugleich den Gesundheitsschutz hochhält. Für einen Weg, der den Menschen nicht nur Durchhaltedisziplin abverlangt und mit unbrauchbaren Perspektivversprechen wedelt, sondern konkret machbare Verbesserungen umsetzt. Wir setzen dabei auf einen Schutz der Grundrechte, auf Wissenschaftlichkeit und Ideologieabstinenz – auf Beschränkungen, da wo sie wirklich nötig, sinnvoll und effektiv sind.

Wir stehen zu dem Grundsatz mit Maß und Mitte – und im Zweifel für die Freiheit.

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