Péter Vida zur Bund-Länder-Konferenz zur Pandemie Bekämpfung vom 28.04.21

28. Apr. 2021

Rede von Péter Vida in Textform:

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die letzten paar Minuten waren Beweis dafür, warum die Menschen von vielen Debatten genervt sind. Es geht im Grunde darum, parteipolitische Spielchen auszutragen und sich im Endeffekt an der Sache vorbei zu erregen.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich haben kurz vor der heutigen Debatte wieder sehr viele Menschen gefragt, wie lange das eigentlich noch so weitergeht: ein Restaurantbetreiber, der erst letztes Jahr sein Geschäft eröffnete und ganz hoffnungsvoll an die Arbeit gehen wollte, dann aber sofort wieder schließen musste und deswegen auch keine Ausgleichszahlung bekam; eine Mutter von drei Kindern, die nicht weiß, welches Kind sie wann und wie nächste Woche in die Schule schicken kann oder ob sie Homeschooling organisieren muss; oder auch ein Pfarrer bei uns, der ob der leeren Bänke in der Kirche sehr betrübt ist. Es schmerzt mich, ihre Geschichten zu hören, und sie stehen nur beispielhaft für die vielen Tausenden, denen es genauso geht. Einige von ihnen ertragen es, einige wehklagen, und einige trauen sich aufgrund der Diskussionen nicht, ihre Kritik zu äußern. All jenen wollen wir eine Stimme geben – eine Stimme der Vernunft, die uns sagt: „Wir wollen und dürfen nichts verharmlosen“, die zugleich aber auch sagt: „So kann und darf es nicht weitergehen“, und zwar in der Sache nicht, aber auch im Umgang miteinander nicht.

In einer Zeit, in der Perspektiven zur Mangelware werden, der Einsatz für mehr Freiheit zum Teil von Regierungsbänken aus verpönt wird und die Menschen die Durchhalteparolen nicht mehr hören können, braucht es Mut, auch andere Lösungen zu vertreten – eine Sicht, von der ich überzeugt bin, dass viele sie teilen. Wir wollen die Stimme derer sein, die das genauso sehen. Wir wollen uns dabei nicht über andere erheben, aber auch nicht wegducken, sondern klar benennen, was Sache ist, und das, was gut läuft, anerkennen, erhalten, unterstützen und ausbauen, aber auch nicht davor zurückschrecken, das, was schlecht läuft, ebenso zu benennen und dann auch Veränderungen zu fordern.

Die Menschen, denen ich dabei begegne, wissen, wie wichtig es ist, dass wir dort schützen, wo es nötig ist, und so gut schützen, wie es nur möglich ist. Das war von Anfang an das Wichtigste, und das unterstützen auch wir.

Doch es ist unseres Erachtens schon zu viel Zeit vergangen, in der der Schutz der Grundrechte nicht den Stellenwert erhielt, den wir ihm beimessen. Viel zu leichtfertig wurde und wird eine Beschränkung nach der anderen beschlossen, festgelegt und durchgesetzt. Viel zu selten wird über andere Modelle und Möglichkeiten diskutiert. Wenn doch darüber diskutiert wird, dann werden sie trotz guter Zahlen schlechtgemacht. Die Folge daraus: politisch, rechtlich, sozial und wirtschaftlich besorgniserregend. Es muss erlaubt sein, und es ist auch erlaubt, dies zu benennen und einen neuen Weg zu fordern.

Meine Damen und Herren, wir sind heute zusammengekommen, um über den Impfgipfel von vorgestern zu diskutieren. Man muss zu den Impfungen sagen: Man war früh gewarnt, Kapazitäten und Ressourcen bereitzustellen. Vieles davon wurde abgetan – noch vor einem halben Jahr hier auch in diesem Hause -, weshalb nicht rechtzeitig gehandelt wurde. Selbst als das Versagen Anfang dieses Jahres mit Händen zu greifen war, wurde es noch als störendes Gemecker bezeichnet. Viel zu lange hinkte Brandenburg aufgrund verfehlter Impforganisation hinterher. Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen zu langsamem Impfen und unnötig mehr Toten, einen sehr traurigen Zusammenhang.

Ich kann mich noch erinnern, wie stolz gerade in CDU-Kreisen anmaßende Posts geteilt wurden, so unter anderem der Vergleich von Angela Merkel mit Jacinda Ardern, der Premierministerin von Neuseeland. Das seien die Frauen, die die Pandemie gut bewältigen. Schnell sind diese Bilder wieder aus Facebook verschwunden. Sie waren schon damals anmaßend, und die Entwicklung der letzten Monate hat gezeigt, wie es in Deutschland wirklich gewesen ist.

Die EU hat es verschlafen, rechtzeitig ausreichend Impfstoff zu bestellen, hatte aber Zeit und Energie genug, um mit mahnendem Zeigefinger über andere zu dozieren. Das ist bis heute der Fall.

Nahezu tragikomisch wirkte es, wie man Großbritannien belehren wollte, es würde zu Medikamentenengpässen kommen. Nun, in Großbritannien liegt die Zahl der Neuinfektionen bei einem Fünftel bis einem Zehntel der Neuinfektionen in Deutschland, und die Todeszahlen bewegen sich aktuell im niedrigen zweistelligen, an manchen Tagen sogar im einstelligen Bereich, und zwar nicht prozentual, sondern nominal. Auch die Öffnung von Kunst, Kultur, Sport und Gastronomie schreitet voran.

Ich erinnere mich noch, wie über Serbien die Nase gerümpft wurde, weil man dort zuerst russischen Impfstoff bestellt hat, während in Deutschland bis heute darüber debattiert wird, ob man dies in politischer Hinsicht machen dürfe oder nicht – wie jüngst die Grünen in Berlin, die uns belehrt haben, dass man aus Solidarität mit Nawalny keinen russischen Impfstoff bestellen dürfe.

Nun, meine Damen und Herren, man möchte daran erinnern: Es geht hier nicht um Solidarität in weltpolitischen Fragen, sondern um Solidarität mit den Menschen in unserem Land, die den Impfstoff brauchen und auf ihn warten. Daher ist für uns klar: Sobald die Zulassung vorliegt, sollte Brandenburg auch diese Möglichkeit nutzen und den Impfstoff ankaufen. Es geht nicht an, dass geopolitische Erwägungen beim Ankauf von Impfstoff einen Hemmschuh darstellen. Und bevor Sie sich zu sehr darüber erregen: Das ist übrigens die erklärte Position von Hans Kluge – Sie müssten ihn kennen, wenn Sie sich so erregen -, dem Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation für Europa. Er fordert exakt das.

Meine Damen und Herren, wir erkennen an – es ist auch richtig -, dass die Impfgeschwindigkeit gerade im April bundesweit deutlich gestiegen ist. So muss es weitergehen, und hier sollten alle Impfstoffe genutzt werden, zudem alle Ressourcen: Impfungen durch Hausärzte ausweiten, natürlich die Impfzentren beibehalten – teuer hin oder her, alles zählt, alles trägt dazu bei, schnell voranzukommen -, aber auch die mobilen Impfteams besser nutzen.

Ich hatte am Wochenende die Möglichkeit, mir die Arbeit des Impfbusses in Rheinsberg anzuschauen. Dort erfolgt eine sehr gute Organisation durch die Verantwortlichen, auch mit der Bundeswehr zusammen. Da wurden knapp 800 Menschen an einem Tag geimpft. So muss es weitergehen, auch andernorts! Und bevor AstraZeneca liegen bleibt – ich beteilige mich nicht an Debatten, wo wie viele Ampullen stehen, sondern mache eine allgemeine Aussage -: Lieber die Priorisierungsreihenfolge aufheben, bevor es ungenutzt herumliegt! Entsprechende Maßnahmen werden auch in Berlin ergriffen. Sie sind nicht unseriös, wie die Landesregierung es bezeichnete, sondern sachgemäß und sinnvoll.

Meine Damen und Herren, wir hatten mit dem Impfgipfel auch die Hoffnung verbunden, dass eine Aussage zu bestimmten Öffnungsstrategien getroffen wird. Vor dem Impfgipfel hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier – „verabschiedet“ kann man nicht sagen – zur Grundlage der Debatte gemacht, aus dem ich sehr gern zitiere:

„Den Staat trifft aber auch die Pflicht, die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen laufend zu beobachten und im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit laufend (neu) zu bewerten.

Einschränkungen sind danach gerechtfertigt, soweit und solange sie einen Beitrag gegen die Ausbreitung des Coronavirus sowie insbesondere zur Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems leisten können […] [und] mildere, ebenso geeignete Mittel nicht zur Verfügung stehen […].“

Dieser Pflicht, das fortlaufend zu prüfen und zu aktualisieren, wurden die Landtage durch die Beschlussfassung im Bundestag und Bundesrat teilweise enthoben. Für manche gilt: Sie haben sich selbst dieser Pflicht entledigt, indem sie kritiklos der Notbremse zustimmten. Es gab eine sehr intensive Debatte vor der Bundestagsabstimmung, auch vor der Bundesratsabstimmung, und während es heiß herging und abgewogen wurde, intensiv diskutiert wurde, kam die trockene Meldung: Brandenburg ist dafür! – Aber es war nicht „Brandenburg“, sondern die Landesregierung von Brandenburg, die damit leichtfertig die Chance vergab, hier in Brandenburg nach Lösungen zu suchen und sie auch zu finden.

Es ist geradezu zynisch, dass Sie – die Koalition – in der letzten Sitzung noch einen Antrag durchbrachten, der – Zitat – „landesspezifische Maßnahmen“ für Brandenburg forderte. Das haben Sie vor einem Monat hier beantragt, während Sie wenige Wochen später jede Steuerungsmöglichkeit aufgeben und der Bundesregierung dafür auch noch zujubeln. Das ist hier geschehen, und nicht nur das: Noch im Januar begrüßte der Ministerpräsident, dass Ausgangssperren in der damaligen Ministerpräsidentenkonferenz nicht mehr vereinbart wurden, weil er sie für einen zu starken Grundrechtseingriff hielt. Das hat er hier in der Sondersitzung im Januar erklärt. Nun haben Sie Ausgangssperren ab einer 100er-Inzidenz für absolut notwendig erklärt, obwohl die Inzidenz damals höher lag als heute. Genau diese Widersprüche sind der Grund, warum die Maßnahmen auf immer weniger Akzeptanz stoßen.

Es genügt dabei nicht, immer nur auf die Inzidenz zu verweisen. Man muss bei Maßnahmen prüfen, ob und wie sie anderswo gewirkt haben, ehe man sie verfügt. Und auch laufende Maßnahmen sind bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu hinterfragen, denn nur bei wirksamen Maßnahmen ist die Grundlage für gravierende Grundrechtsbeschränkungen gegeben.

Deswegen ist die Bundesregierung, aber an sich auch die Landesregierung in der Pflicht, nachzuweisen, was die einzelnen Maßnahmen bringen und dass sie etwas zur Reduzierung des Infektionsgeschehens beitragen – zum Beispiel darzulegen, warum die Schließung von Gastronomie sowie touristischen und kulturellen Einrichtungen notwendig ist und mildere Mittel wie Testprogramme nicht infrage kommen.

Doch das erfolgt nicht, und Studien, die belegen, dass in diesen Bereichen ohnehin nur ein geringes Infektionsgeschehen stattfindet, dass man mit Tests sogar noch weiter reduzieren könnte, werden nicht beachtet. Hinzu kommt eine nächtliche Ausgangssperre, wobei erst die neueste Studie der Universität Gießen deren Wirksamkeit infrage gestellt und in den Landkreisen in Hessen, die davon Gebrauch gemacht haben, kaum einen Effekt festgestellt hat.

Deshalb stellt sich die Frage, wo bei diesen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit ist und wo die eingeforderte laufende Neubewertung bleibt – also das, was sich die Bundesregierung selbst in ihr Eckpunktepapier geschrieben hat, dem Sie ja in weiten Teilen folgen. Stattdessen wird stur an Maßnahmen mit zweifelhaften Eindämmungswirkungen festgehalten oder an unnötig harten Maßnahmen, deren Wirkung sich auch mit milderen Mitteln erreichen ließe.

Nun könnte man sagen: Okay, so ist es schon seit einigen Monaten. – Doch die neue Qualität ist, dass jedem, der das kritisiert oder im Modellversuch andere Wege testen will, harsch entgegnet wird: Wie könnt ihr das nur fordern, ihr Ketzer? Die Zahlen steigen doch! – Dabei wird gar nicht bestritten, dass die Zahlen steigen. Es geht darum, Aktivitäten zu ermöglichen, während man das Infektionsrisiko senkt, und das ist durchaus möglich.

Gastronomie, Hotellerie, Sportanlagen waren schon nach Maskenpflicht und Hygienekonzept keine nennenswerten Infektionstreiber mehr. Mit zusätzlichen Vorabtests hätte man das ohnehin geringe Risiko noch weiter Richtung null senken können.

Dennoch wurden all diese Aktivitäten pauschal verboten, und in ihrem Elfenbeinturm glaubten die Schöpfer dieser Regelungen, die Bürger blieben dauerhaft zu Hause. Diese Annahme ist weltfremd. Nun kann man manchen hier tief in die Augen schauen und prüfen, wie genau sich jeder hier in diesem Hause daran hält. Ein paar Tage oder Wochen machen Menschen das vielleicht mit, aber nach mehreren Monaten sorgen diese Verbote wofür? Für Ausweichverhalten! Wenn Treffen im relativ sicheren Freien oder im Restaurant selbst mit Tests verboten sind, zieht man sich in die Privatwohnungen zurück, ohne Hygienekonzept, ohne Test, ohne Abstand, aber dafür mit erhöhtem Infektionsrisiko.

Wir haben immer darauf hingewiesen – wurden dafür verlacht -, dass genau diese Reaktion zu erwarten ist, und siehe da: Die neuesten Infektionsumfeldbetrachtungen des RKI zeigen was? Dass nämlich genau das passiert: Zwei Drittel der Ausbrüche mit bekanntem Infektionsumfeld betreffen inzwischen Privathaushalte, und die Inzidenzen sind insgesamt nicht gesunken. Wenn also Einrichtungen wie Restaurants mit dem Modell „Testen und Öffnen“ zur Verfügung stehen, finden viele dieser Treffen unter Infektionsschutz statt. Tun sie es nicht, finden sie ohne Infektionsschutz statt. Deswegen, meine Damen und Herren, plädieren wir, solange nicht genug Impfstoff vorhanden ist und die Inzidenzen höher sind, für die Methode „Testen und Öffnen“

. Es war für uns und für mich persönlich sehr erschreckend, zu sehen, mit welch einer Kaltschnäuzigkeit und Wissenschaftsferne diese Modelle in Brandenburg ad acta gelegt, verhöhnt und lächerlich gemacht wurden. Während die Modelle in zahlreichen Teilen Deutschlands liefen, erklärte die Gesundheitsministerin im zuständigen Ausschuss den ehrfürchtig staunenden Abgeordneten: Alles Quatsch, funktioniert nicht, alles gescheitert! – Die regelmäßig substanzlose Erklärung war: Die Zahlen steigen dort! – Das taten sie aber auch in den Regionen mit Lockdown. Nach der Logik wäre auch der Lockdown gescheitert.

In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, muss man natürlich schauen – das ist doch eine mathematische Grundübung, die man erwarten kann -, wie sich die Zahlen langfristig im Vergleich der verschiedenen Methoden entwickeln: Haben sich die Zahlen mit dem Modell „Testen und Öffnen“ nach mehreren Wochen schlechter, besser oder gleich entwickelt wie in der Vergleichsgruppe der Gebiete mit einem Lockdown? Das heißt: Nicht einfach nur sagen, die Zahl steigt, sondern schauen, wie sie dort steigt, wo es „Testen und Öffnen“ gibt, im Vergleich dazu, wo es diese Methode nicht gibt, sondern nur den Lockdown. Das ist ein mathematischer Vergleich – und nicht, einfach nur zu sagen, die Zahl sei gestiegen.

Und der Gipfel des Ganzen: Die Ministerin verstieg sich in der vorletzten Ausschusssitzung sogar dazu, zu erklären, das Saarland sei mit seinem Modell kläglich – kläglich! – gescheitert. Gucken wir uns die Zahlen an: Das Saarland hat eine hohe Bevölkerungsdichte, viermal so hoch wie in Brandenburg – die höhere Bevölkerungsdichte trägt zu einer höheren Übertragbarkeit bei -, und liegt nah am französischen Hochinzidenzgebiet Elsass; Sie kennen diese Region. Es weist dabei deutlich niedrigere Inzidenzen auf als fast alle Bundesländer im Südwesten bzw. Westen Deutschlands.

In einer Umgebung mit Inzidenzen von 180 bis 200 liegen die Werte im Saarland und in Rheinland-Pfalz um 40 bis 50 Punkte unter denen der Nachbarbundesländer von Rheinland-Pfalz, und in beiden Bundesländern gab es das Modell „Testen und Öffnen“ – im Falle von Rheinland-Pfalz wurde dies bundesweit nicht so sehr beachtet.

Doch die Brandenburger Gesundheitsministerin erklärt, das Modell „Testen und Öffnen“ sei kläglich gescheitert; schließlich sei die Inzidenz im Saarland gestiegen. Nun, wenn wir von Anstieg reden, vergleichen wir einmal alle Bundesländer, die an Frankreich grenzen – und zwar in dem Zeitraum von der Öffnung im Saarland am 6. April bis gestern -: Saarland: Erhöhung um 54 Punkte; Rheinland-Pfalz: Erhöhung um 34 Punkte; BadenWürttemberg mit dem überlegenen, „göttlichen Lockdown“: plus 80 Punkte. – Das heißt, beide Länder, die das Modell „Testen und Öffnen“ verfolgt haben, schneiden sowohl beim Anstieg als auch beim Endergebnis besser ab als das Land, das stattdessen den Lockdown wählte. Jetzt kann man sagen, diese Betrachtungsweise sei nicht die einzige. Aber man kann daraus wahrlich nicht schlussfolgern, dass „Testen und Öffnen“ gescheitert und der Lockdown die einzige Lösungsvariante sei.

Es gibt noch einen weiteren Trick, um Modellversuche schlechtzureden: Prozentrechnung – nicht sehr populär in Deutschland, ich weiß. Die Modellversuche fanden meist in Regionen mit sehr niedrigen Ausgangswerten statt, weshalb selbst ein geringer nominaler Anstieg natürlich einen hohen prozentualen Anstieg bedeutete. So wurde von Verfechtern des bedingungslosen Lockdowns gern – irreführend – immer nur der prozentuale Anstieg genannt; die Höhe des absoluten Anstiegs wurde verschwiegen.

Bei Tübingen wurde das so gemacht; da hieß es: Also, die Inzidenz in Tübingen hat sich verfünffacht – die in Baden-Württemberg aber gleichzeitig nur verdreifacht! – Dass die Inzidenz in Tübingen nominal nur um 60 Punkte stieg, im gleichen Zeitraum im restlichen Baden-Württemberg mit Lockdown aber um 120 Punkte, wird verschwiegen – nur auf die Prozentzahlen wird verwiesen. Es sind die nominalen Werte, die tatsächlich für neue, für mehr Intensivpatienten sorgen. Deswegen muss man sich das anschauen. Falls Sie uns nicht glauben: Die Universitätsklinik Tübingen, eine anerkannte Einrichtung, hat sich für eine Fortsetzung des Tübinger Modells ausgesprochen und lediglich kleinere Anpassungen aus wissenschaftlicher Sicht gefordert. „Testen und Öffnen“ funktioniert in Tübingen also weit besser als der Lockdown in den 99 % des übrigen Bundeslandes.

Doch auch im Falle von Tübingen beteiligte sich unsere Gesundheitsministerin am Spiel des Schlechtredens. Sie behauptete in der vorletzten Ausschusssitzung ebenfalls: Sie haben es eingesehen, das Modell ist gescheitert; sie haben es eingestellt. – Richtig ist: Tübingen musste das Modell aufgrund der folgenschweren Entscheidung in Berlin beenden – gegen den Willen der Verantwortlichen, gegen den Willen des Großteils der dortigen Bevölkerung, bei einer Inzidenz, die halb so hoch war wie der Schnitt des Landkreises. Tübingen lag, als das Modell beendet wurde, bei unter 100 – der Landkreis bei knapp 200! Nur weil der Wert für den Landkreis gebündelt berechnet wird und Tübingen keine kreisfreie Stadt ist, musste Tübingen ebenso wie der Landkreis wieder schließen – obwohl die Inzidenz dort nur halb so hoch war wie im Rest des Landkreises und des Bundeslandes mit Lockdown.

Auch Berlin hat doch das Modell „Testen und Öffnen“ verfolgt, ebenso Schleswig-Holstein. Wofür ist Schleswig-Holstein bekannt? Richtig, für die niedrigste Inzidenz in der Bundesrepublik.

Meine Damen und Herren, es ist unverantwortlich, mit solch einer unwissenschaftlichen Grobschlächtigkeit Modelle zu ignorieren und andere Regionen für hinterwäldlerisch zu erklären, nach dem Motto: „Wir in Brandenburg wissen es besser!“ Dabei hat der Landtag vor einem Monat doch genau das beschlossen. Ich möchte Sie daran erinnern: In dem Antrag auf Drucksache 7/3269 fordert die Koalition – das sind Sie -, Modellregionen für Brandenburg einzurichten. Am 24.03.2021 wurde das mit Ihrer Mehrheit beschlossen. Doch die Landesregierung denkt nicht daran, diesen Beschluss des Landtags umzusetzen. „Das hat noch Zeit, das müssen wir jetzt nicht tun“, so das staatsrechtliche Verständnis der Landesregierung. Und der Landtagsmehrheit, die den Antrag eingebracht hat, ist es egal, dass ihr Antrag keine Umsetzung findet; manche haben ihn vielleicht schon vergessen.

Stattdessen, meine Damen und Herren, wurde – wie beschrieben – über alle, die diese Modelle verfolgten, hergezogen. Sie wurden schlechtgeredet und lächerlich gemacht. Dabei geht es doch darum, all jenen, die ihre Geschäfte und Einrichtungen mitunter seit Monaten geschlossen halten müssen, eine Verbesserung zu bieten, ohne dass dies das Infektionsrisiko nennenswert erhöht. Die Vorteile des Modells „Testen und Öffnen“ liegen dabei auf der Hand: Die Grundrechte werden gewahrt bzw. besser gewahrt; ein schnelleres Erkennen von Infektionsketten ist möglich. Natürlich steigen zunächst die Zahlen, weil sich mehr Menschen testen lassen, aber mittelfristig sinken sie, weil man die Infektionsketten schneller erkennt und unterbrechen kann. Außerdem können Einrichtungen öffnen, was übrigens auch ein Wert ist, der aber bei manchen schnell untergeht. Wenn Geschäfte, der Einzelhandel usw. wochenlang geöffnet sein dürfen, ist das ein großer Wert, den man bei der Abwägung bitte auch einpreisen muss.

Insofern stellt „Testen und Öffnen“ ein milderes Mittel dar, dem bei ähnlicher Wirkung auf das Infektionsgeschehen der Vorzug zu geben wäre. Das klang ja heute sogar ein bisschen an. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, das Modell „Testen und Öffnen“ auf „Testen oder Impfen und Öffnen“ zu erweitern. Dann dürfen Einrichtungen geöffnet werden, und man muss einen negativen Test oder eine Impfung nachweisen. Dieses Modell bietet Ihnen auch einen rechtsstaatlichen Ausweg aus der Debatte um die angeblichen Privilegien für Geimpfte. Das sind in der Tat keine Privilegien. Sie brauchen dann aber auch keine Privilegien; denn die Einrichtungen werden geöffnet, und die Impfung gilt sozusagen neben einem Test als eine andere Form des Nachweises, höchstwahrscheinlich nicht infiziert zu sein. Der Nachweis der Impfung kann einfach neben einem tagesaktuellen negativen Test genutzt werden. Wir sagen nicht, wie in der Presse zu lesen war, dass die Impfung an die Stelle des Tests tritt. Sie tritt neben den Test – Test oder Impfung als Nachweis, um von der Öffnung Gebrauch machen zu können.

Ich erkenne an, dass auch von Koalitionsvertretern gesagt wird: Wir wollen Test und Impfung gleichsetzen. – Aber dann muss es auch etwas geben, was geöffnet wird. Sonst ist diese Feststellung doch nichts wert. Wenn jemand negativ getestet oder geimpft ist, muss er auch die Möglichkeit erhalten, Einrichtungen zu nutzen.

Welchen Vorschlag zur Lösung des Problems hat hingegen der Impfgipfel ergeben? Gar keinen! Man schiebt das Problem vielmehr vor sich her, und heute wurde verkündet: In einem Monat will man im Bundesrat entscheiden, wann man mitteilt, ob und gegebenenfalls wann Geimpfte welche Rechte zurückerhalten können. – Das ist zu wenig! Das ist enttäuschend.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Abg. Vida (BVB/FW): Bitte schön.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Redmann.

Herr Abg. Dr. Redmann (CDU):

Herr Kollege Vida, Sie haben gefragt, welche Dinge es überhaupt gebe, die man mit einem negativen Test in Anspruch nehmen könne. Deshalb frage ich zurück: Ist Ihnen bekannt, dass man in Brandenburg gegenwärtig in den meisten Landkreisen, die eine Inzidenz von über 100, aber unter 150 haben, einkaufen gehen kann, wenn man getestet ist? Das ist auch ein Ergebnis von Modellversuchen, die man gemacht hat. Das wurde nun durch das Infektionsschutzgesetz auf Bundesebene in die allgemeine Rechtslage übernommen. Man kann also durchaus etwas in Anspruch nehmen. Ich weiß nun nicht, wie häufig Sie zur Fußpflege oder zum Friseur gehen, aber auch dabei spielen Tests eine Rolle. Also, es gibt einige Angebote.

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Im Lukasevangelium – Kapitel 16, Vers 15, um genau zu sein – geht es um die Selbstgerechtigkeit der Menschen, Herr Dr. Redmann. Es war die erste Luther-Übersetzung, die dieses Wort erstmals in den deutschen Schriftgebrauch einführte: Ihr seid’s, die ihr euch selbst rechtfertigt vor den Menschen.

Das ist genau das, was Sie tun. Ich erinnere Sie daran, wie Sie hier den Beschluss gefasst haben, brandenburgspezifische Maßnahmen zu ergreifen und diese vom Landtag beschließen zu lassen. Wenige Tage später geben Sie das Vorhaben auf.

Ich erkenne an, wenn es derartige Maßnahmen gibt. Ich weiß aber auch ganz genau, wie wir in jeder Sitzung des Gesundheitsausschusses, in jeder Landtagssitzung für derartige Forderungen verteufelt worden sind. Wir wollen, dass die Modellregionen nicht Modellregionen bleiben, sondern dass von der entsprechenden Methode dauerhaft Gebrauch gemacht wird und dass man nicht Tübingen, das Saarland oder Berlin schlechtredet, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse daraus zieht, damit weniger Selbstgerechtigkeit herrscht und mehr Möglichkeiten bestehen, Dinge belastbar und dauerhaft – nicht sozusagen durch Gönnerschaft – in Anspruch zu nehmen. Und ich verzichte gern auf Fußpflege; wer das aber in Anspruch nehmen will, soll es tun – bitte schön.

Meine Damen und Herren, es ist in dieser Situation unverständlich, dass viele der Modellprojekte von der Bundesebene faktisch zwangsweise beendet worden sind. Wir halten es auch generell für einen Fehler, die Entscheidung auf die Bundesebene zu verlagern, weil sich die Landesregierungen dadurch aus der Verantwortung und aus der Pflicht stehlen, selbst immer wieder nach Lösungen zu suchen. Deswegen begrüßen wir Verfassungsbeschwerden, die sich gegen den pauschalen, undifferenzierten Lockdown wenden, die den Ländern die Zuständigkeit zurückgeben und auch die nächtliche Ausgangssperre kippen wollen.

Wir werben für klare Differenzierungen, die Stufen verschiedener Öffnungen und Lockerungen ermöglichen, und für die Ausweitung des beschriebenen Modells „Test und Öffnen“, so wie es auch beispielsweise Schleswig-Holstein praktiziert. Dort gibt es ernst zu nehmende Entwicklungen, im Bundesvergleich sehr, sehr gute Zahlen und einen Stufenplan, der festlegt, unter welchen Bedingungen Öffnungen erfolgen und ab wann die Öffnungen unter erschwerten Bedingungen erfolgen, aber eben nicht pauschal. Übrigens: Nichts anderes passiert in unseren Schulen, die mit Testen geöffnet werden – und das begrüßen wir ausdrücklich. Deswegen denken wir, dass das auch in anderen Bereichen geht.

Meine Damen und Herren, alles in allem werben wir für einen Weg, der Freiheitsrechte würdigt und zugleich den Gesundheitsschutz hochhält, für einen Weg, der den Menschen nicht nur Durchhaltedisziplin abverlangt und einmal im Monat mit unbrauchbaren Perspektivversprechen wedelt, sondern auch konkrete machbare, messbare Verbesserungen umsetzt. Wir setzen dabei auf einen strengen Grundrechtsschutz, auf Wissenschaftlichkeit und vor allem auf Ideologieabstinenz, auf Beschränkungen da, wo sie wirklich nötig, sinnvoll und auch effektiv, nachgewiesen effektiv sind, und würdigen zugleich die Arbeit der Gerichte als Bastion des Rechtsstaates.

Meine Damen und Herren, es bleibt auch nach dieser Debatte für uns dabei: Stehen wir zum Grundsatz „mit Maß und Mitte“ und im Zweifel für die Freiheit! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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