Péter Vida zum „Ergebnis des Corona-Gipfels“ vom 24.03.2021

24. März 2021

Rede von Péter Vida in Textform:

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Pandemie begleitet oder verfolgt uns – das ist vielleicht das passendere Wort – nun schon seit gut einem Jahr. Und während die Medizin auf Hochtouren arbeitet, braucht es in der Politik eigentlich Demut, Handlungswillen und vor allen Dingen Teamgeist.

Von der Demut, Fehler einzugestehen, haben wir heute einiges gehört. In der Tat waren auch wir sehr irritiert über diesen Euphemismus „Ruhetage“: Das ist einfach nur ein anderer Begriff für „harter Lockdown“, mit dem man diesen der Bevölkerung verkaufen wollte. Doch so einfach ist es nicht. Noch bis gestern Abend hat der Ministerpräsident die Entscheidung vom Montag als genau richtig und notwendig dargestellt – aus der ganzen Koalition kam kein Widerspruch, oder es wurde die Notwendigkeit der Maßnahmen betont -, und heute früh, nachdem er von der Kanzlerin die Order bekommen hatte, eine Rolle rückwärts zu machen, wurde uns erklärt, es ist genau richtig, diese Maßnahmen nicht mehr zu ergreifen. Herr Ministerpräsident, das ist die föderalistische Bankrotterklärung Ihrer Arbeitsweise in dieser Frage.

Ich frage mich im Hinblick auf diese gedämpfte Stimme, mit der hier alle gesprochen haben, die Einsicht zum Ausdruck bringend, dass man das nicht machen kann, ob Sie genauso reden würden, wenn die Kanzlerin heute Vormittag eine andere Erklärung abgegeben hätte. Ich befürchte sehr, dass uns dann dieselben Personen die Richtigkeit, die Notwendigkeit und die Passgenauigkeit der sogenannten Osterruhe erklärt hätten – wahrscheinlich auch mein unmittelbarer Vorredner -, und das ist das Traurige daran.

Meine Damen und Herren, es braucht auch Handlungswillen. Handlungswillen heißt, das Suchen nach Lösungen voranzutreiben, sich selbst hierbei regelmäßig zu hinterfragen und auch neue Wege einzuschlagen. Und es braucht den Teamgeist, den hier alle beschworen haben, der sich aber doch nur als Floskel erweist, um Lösungen gemeinsam zu suchen und die Ideen anderer gelten zu lassen. Der Ministerpräsident hat erst heute wieder gesagt, man solle gemeinsam nach Lösungen suchen.

Ja, wenn es denn so wäre! Die letzten 12, 13 Monate haben uns gezeigt, es ist nicht so. Anträge der Opposition werden lächerlich gemacht, werden schlechtgemacht, werden nicht einmal dem üblichen parlamentarischen Prozedere unterworfen, sodass man sie doch in irgendeiner Gestalt zurückbringt. Nein, meine Damen und Herren, es wird regelmäßig schlechtgeredet und dann abgetan. Dann aber wird wieder betont, wie sehr man gemeinsam arbeiten müsse.

Was diese Peinlichkeit betrifft: Am Ende will es wieder keiner gewesen sein. Alle haben dagesessen und gesagt: Jawoll, so machen wir es. – Einen Tag später haben sie es verteidigt, und heute erklären alle: Wir haben erkannt, wir dürfen es doch nicht so machen. – Meine Damen und Herren, das glaubt Ihnen keiner mehr. Die Ernsthaftigkeit der Befassung nimmt Ihnen keiner mehr ab, wenn so etwas passiert.

Damit wir uns da nicht falsch verstehen: Man kann Fehler eingestehen. Nur ist es hier doch so: Keiner der 16 – und das sind alles hoch qualifizierte, hoch kompetente, politisch versierte Leute – hat bis heute früh Zweifel angemeldet. Erst als aus dem Kanzleramt die Mitteilung kam: „Können wir doch nicht machen“ – und es war richtig, was die Kanzlerin gesagt hat -, haben auf einmal alle 16 erkannt: Jawoll, wir haben uns auch geirrt. – Diese kollektiv gespielte Betroffenheit, dieser kollektiv gespielte Irrtum, das ist das Problem, warum Sie an Glaubwürdigkeit verlieren.

Es ist nur so – zum Thema Teamgeist und Teamwork -: Wir haben zwar eine sehr gute Schiedsrichterin als Landtagspräsidentin, aber die Landesregierung als Spielführer hat nichts von alledem walten lassen, Kritik regelmäßig empört zurückgewiesen und sie als „Gemecker“ bezeichnet; wir haben es auch heute gehört. Das Problem ist nicht etwa die gebündelte Verantwortungslosigkeit; das Problem sind die Kritik daran und die negative Berichterstattung. Das haben wir heute gehört. Das ist wirklich eines aufgeklärten Rechtsstaates unwürdig. Es wird dann als „Gemecker“ bezeichnet, konstruktive Vorschläge werden abgetan, Handlungswillen muss man oft suchen.

Und es wurde, gerade um Weihnachten herum, so ein Nimbus der analytischen Unfehlbarkeit um das Gesundheitsministerium herum kreiert, der spätestens seit Januar auf dem harten Boden der Realität zerschellt ist. Bei Einsichtsfähigkeit oder auch konzeptioneller Anpassungsfähigkeit war leider lange Zeit Fehlanzeige.

Ich möchte einen kleinen Rückblick darauf wagen, wie uns die Pandemie im März 2020 traf. Wir haben damals wenig über die Verbreitungswege gewusst. Es gab kaum Tests, es gab keine Impfungen, es gab kaum Schutzmittel, und deswegen war damals der Ruf nach harten Maßnahmen sozusagen präventiver Art absolut berechtigt. Wir haben das damals auch gefordert, und wir stehen dazu; es war aus der damaligen Sicht auch richtig.

Heute wissen wir aber sehr viel über die Verbreitungswege, über Aerosole. Wir wissen, dass Maskentragen und Abstandhalten schützen, und genau deswegen wird weiterhin mit Bus und Bahn gefahren, und Supermärkte sind weiterhin geöffnet. Sie waren die ganze Zeit, unabhängig vom Infektionsgeschehen, offen. Bei guten Schutzmaßnahmen können Dinge auch offen bleiben, belegen Studien der TU Berlin und des RKI. Genau deswegen ist regelmäßig eine kritische Prüfung nötig, was wirklich schließen muss.

Und es ist eine widersprüchliche Situation, wenn man sich, jetzt wahrscheinlich auch am Gründonnerstag und am Karsamstag, im Supermarkt drängen und dort Batterien kaufen darf, während es als zu gefährlich angesehen wird, in den Einzelhandelsgeschäften – die leer bleiben – genau dieselben Batterien zu kaufen. Es ist ein Widerspruch, wenn man, dicht gedrängt im Flugzeug, nach Mallorca fliegen kann, aber die Familie nicht über das Osterwochenende in eine Ferienwohnung in der Märkischen Schweiz ziehen kann, um sich dort selbst zu versorgen. Das ist ein Widerspruch, und das ist unbefriedigend. Eines ist nämlich auch klar: Die Inzidenzen haben schon angefangen, zu steigen, bevor der Einzelhandel in Teilen wieder offen war. Daher kritisieren wir diesen Teil der Schließung absolut.

Deswegen stellt sich im Rahmen des Ausblicks, den wir wagen müssen, die Frage, ob überhaupt beachtet wird, ob überhaupt geprüft wird – dazu wurde heute auch nichts gesagt -, wo der Anstieg der Infektionszahlen stattfindet. Das RKI veröffentlicht mittlerweile wöchentlich nicht komplexe, aber doch brauchbare Infektionsumfeldanalysen, in denen zwar – bevor es mir entgegenhallt – auch eine Dunkelziffer enthalten ist, die aber sehr wohl einen Rückschluss zulassen und es ermöglichen, zu beobachten, was zunimmt und was abnimmt.

Es nimmt die Zahl der Infektionsquellen in Pflege- und Altenheimen ab. Das ist sicherlich auf die dort vergleichsweise hohe – hoch ist hier gar nichts – Impfdurchdringung zurückzuführen. Wo ist es steigend? – Das müssten jetzt alle beantworten, die die Maßnahmen gerade gelobt haben. Steigend ist es in privaten Haushalten, in Kitas, in Schulen und im beruflichen Umfeld. Und nun haben wir den weitgehenden Konsens, dass wir die Öffnung von Kitas und Schulen nicht weiter einschränken wollen. Das ist auch richtig. Nur genau deswegen müssen wir andere Wege gehen.

Interessant ist, dass Dänemark, das einzige Nachbarland Deutschlands mit einer niedrigeren Inzidenz, ein ähnliches Infektionsumfeld aufweist. Dort steigen die Zahlen auch in diesen Bereichen, also im privaten Umfeld und im Bildungsbereich. Der Unterschied ist, dass dort deutlich mehr getestet wird. Genau deswegen müssen wir, wenn wir Schulen und Kitas offen halten wollen, mehr Tests bereitstellen. Es muss logistisch ermöglicht werden, für die Schüler mehr Tests bereitzustellen, in einem deutlich größeren Umfang auch für das Wochenende außerhalb der Schule, damit sie am Wochenbeginn einen Selbsttest durchführen können.

Wenn wir das als richtig erkennen, müssen wir auch vom zweiten Denkfehler wegkommen, nämlich immer nur in Verboten zu denken. Als wir in der Sitzung im Februar einen Antrag eingebracht haben, in dem wir einen Dreistufenplan präsentiert haben, kam vom Kollegen Redmann der Vorwurf, dieser sei viel zu riskant, er gefährde Menschenleben, er sei nicht wissenschaftlich, das dürfe alles nicht sein.

Bei der Analyse, wie sich die Situation seit dem Februar entwickelt hat, hat er eines vergessen: seine eigene Inkonsistenz. Nur eine Woche später stellt sich der Fraktionsvorsitzende der CDU hin und fordert ebenfalls einen Öffnungsplan – übrigens für viel mehr, als wir gefordert haben -, nur mit einem qualitativen Unterschied, nämlich ohne auf Zahlen Bezug zu nehmen. Das war der Inbegriff der Wissenschaftlichkeit! Ein Stufenplan, der auf den Werten 35, 65, 100 basiert, ist zu gefährlich. Eine Woche später, dann schon bei leicht steigenden Zahlen, einen Öffnungsplan ohne Bezug auf jegliche medizinische Zahlen zu fordern ist dagegen der Inbegriff der Seriosität.

Genau das Gleiche haben wir heute erlebt: die unzulässige Verkürzung von Vorgängen. Ich würde es eine „unterkomplexe Befassung mit den Motiven unseres Antrags“ nennen. Sie werfen uns vor: Vor fünf Wochen habt ihr hier einen Dreistufenplan vorgelegt. Jetzt ist es anders. – Richtig! Seitdem gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, sich impfen zu lassen, und vor allem gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, die Bevölkerung mit Tests zu versorgen. Es ist Ausdruck einer selbstkritischen Befassung mit dem Infektionsgeschehen, wenn ich auf den Umstand, dass ich viel mehr Tests zur Verfügung habe, und darauf, wie in einer Modellregion die Sachen funktionieren, reagiere und einen neuen Antrag vorlege, der die Entwicklungen in der Wissenschaft einbezieht. Das erwarten wir eigentlich auch von Ihnen, und genau das ist der Grund dieses Antrags.

Wenn Sie schon Kritik äußern, dann werfen Sie auch einmal einen Blick in Ihren Entschließungsantrag, den Sie uns jetzt druckfrisch präsentiert haben. Vielleicht können Sie sich daran erinnern, dass Sie mir in der letzten oder in der vorletzten Sitzung – ich habe das jetzt nicht so schnell im Protokoll recherchieren können – in einer charmanten Zwischenfrage entgegenhielten: Was sollen denn diese brandenburgspezifischen Lösungen sein, die BVB / FREIE WÄHLER fordert? Das Virus ist überall gleich. – Im Wesentlichen stimmte das auch.

Was mich nur überrascht, ist, wie man heute mit einer solchen Selbstgerechtigkeit Kritik an unserem Antrag vortragen und dann selber einen Entschließungsantrag präsentieren kann, in dem schon unter Punkt 1 von der Landesregierung gefordert wird, „entsprechende landesspezifische Maßnahmen anzupassen“. Offenbar geht es doch. Natürlich geht es, das ist auch richtig, und der Antrag ist auch nicht schlecht. Nur würde man sich dann etwas mehr Demut im Umgang mit anderen Anträgen wünschen. Ja, wir bringen einen neuen Antrag ein, weil wir sehen, dass die Testkapazitäten ausgeweitet worden sind, weil Schnelltests und Selbsttests in viel größerer Stückzahl verfügbar sind. Genau dem passt sich unser Antrag an.

Wenn man nicht bereit ist, darauf zu reagieren, und immer noch parteipolitische Spiele spielt, löst das genau die Frustration aus, die die Menschen irritiert, und es ist ein Ausdruck von Überheblichkeit. Dabei täte nicht nur dem Ministerpräsidenten, der diesen Teil heute in glaubwürdiger Weise vorgetragen hat, sondern auch der Koalition insgesamt ein Stück mehr Demut gut, vor allem angesichts der Impfperformance, die zum Tiefpunkt des Handlings gehört. Und nein, daran Kritik zu äußern ist keine Häme, ist kein Gemecker, sondern es ist verantwortungsvolles Handeln in der Opposition, wie es sich in einer solchen Krise gehört.

Sie haben im November Hinweise ignoriert und mich noch darüber belehren wollen, dass Bayern ja viel größer als Brandenburg ist. Ich habe noch einmal im Atlas nachgeschaut: Mensch, ich wäre gar nicht darauf gekommen. – Trotzdem, im Vergleich zu allen anderen Bundesländern haben wir, vielleicht noch in Konkurrenz zu Mecklenburg-Vorpommern, das dünnste Netz an Impfzentren. Nein, das ist kein Gemecker, sondern es ist die dringend notwendige Kritik an dem ganzen Vorgang.

Genauso ist es bei der Terminvergabe, bei der ebenfalls Hinweise hartnäckig ignoriert worden sind, was viele Menschen frustriert hat, und bei der Behördenkommunikation. Es war ein Trauerspiel, was das Management und die Koordination betraf. Ich könnte mich als Oppositionspolitiker täglich daran laben, aber ich tue es nicht, sondern ich weise darauf hin, dass dieses dilettantische Verhalten zu einer geringeren Akzeptanz Ihrer Maßnahmen und zu einer geringeren Akzeptanz Ihrer Entscheidungen führt und damit einer bestimmten Kritik Vorschub leistet, die die Notwendigkeit der Maßnahmen und die Notwendigkeit der Impfungen im Ganzen in Abrede stellt. Genau das wollen wir nicht erreichen.

Es ist so, dass wir nicht auf jede Entwicklung nur mit Verboten reagieren können. Deswegen fordern wir, keine weiteren Verschärfungen vorzunehmen, solange nicht nachgewiesen ist, dass die Orte, an denen Sie jetzt Einschränkungen vornehmen, überdurchschnittlich häufig zum Infektionsgeschehen beitragen, oder, andersherum, solange man nicht nachweisen kann, dass deren Schließung etwas bringt.

Meine Damen und Herren, wir alle haben im letzten Jahr davon gesprochen, dass man den Bürgern vielleicht ein oder zwei Monate harten Lockdown zumuten könne. Schon das war eine harte Aussage, aber vielleicht stimmte es. Alle haben gelobt, dass es im Sommer 2020 besser werden soll. Mittlerweile hat sich eine obrigkeitliche Erwartungshaltung etabliert, wonach man wie selbstverständlich jede Maßnahme mit dieser oder jener Zahlenentwicklung begründen kann. Und das geht Ihnen für uns zu leicht von den Lippen. Der Kompass der Demut ist in dieser Frage verloren gegangen; denn inzwischen sind es nicht mehr nur ein psychologisches und ein rechtliches Problem, sondern es geht um harte wirtschaftliche Auswirkungen, deren Tragweite manche offenbar immer noch unterschätzen.

Daher kann es mit dieser Spirale von Grundrechtseinschränkungen nicht weitergehen. Ja, wir sind für angemessene Maßnahmen. Wir sind für Masken, wir sind für Tests, wir sind für Schließungen und für Beschränkungen dort, wo sie nachweislich etwas bringen. Aber wir sind gegen einen Automatismus bei den Schließungsmechanismen ohne Nachweis der Wirksamkeit und ohne angemessene Beachtung der betriebs- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Herr Abg. Vida (BVB/FW): Ja.

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Dr. Redmann.

Herr Abg. Dr. Redmann (CDU):

Herr Kollege Vida, bei Ihnen war viel von Demut die Rede – von der Demut bei den anderen selbstverständlich. Die Kanzlerin und der Ministerpräsident haben heute durchaus Fehler eingestanden. Ich selbst habe mich ausdrücklich einbezogen und gesagt, dass auch ich in der Vergangenheit nicht bei allen Vorschlägen richtiglag. Trotzdem haben Sie diese Vorschläge danach weiterhin munter zitiert und mir noch einmal vorgeworfen – aber fair enough.

Wie ist es denn um Ihre eigene Demut bestellt? Wenn Sie auf Ihr Wirken in dieser Krise zurückblicken, würden Sie dann sagen: „Alles zu 100 % richtig gemacht“? Trifft bei Ihnen Selbstkritik immer den Falschen?

Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Bitte schön, Herr Vida.

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Frau Präsidentin! Ich muss eingestehen, die SPD hatte doch recht: Die Mitgliedschaft im CDU-Bundesvorstand allein führt noch nicht zu einem großen Erkenntnisgewinn. Aber wenn Sie sich in Geduld geübt hätten – eine Forderung, die Sie sonst immer wie eine Monstranz vor sich hertragen -, hätten Sie gehört, dass ich im weiteren Verlauf meiner Rede Punkte nenne, die wir revidieren.

Ich habe auch deutlich gemacht, warum es richtig war, am Anfang harte Maßnahmen zu fordern und die Sachen anders zu bewerten, als wir es aus heutiger Sicht machen würden. Ich habe deutlich gemacht, warum wir einen Antrag mittlerweile anders formulieren, als wir es noch vor sechs Wochen gemacht haben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir im Januar – eine Sondersitzung war das, glaube ich – angesichts der sich abzeichnenden Zahlen einen Antrag zurückgezogen haben. Wenn Sie das, was der parlamentarische Dokumentationsdienst macht, aufmerksam beobachten, stellen Sie fest, dass wir den Antrag, den wir eingereicht hatten, inzwischen zweimal geändert haben, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Das ist der bescheidene Beitrag, den wir leisten, um auf aktuelle Erkenntnisgewinne zu reagieren. Wenn Ihnen dabei meine Stimme nicht gefällt, bitte ich um Nachsicht. Aber wir dokumentieren das durch entsprechende Drucksachen.

Ich habe dem Ministerpräsidenten heute abgenommen, was er gesagt hat. Ich weise lediglich darauf hin, dass ich Sorge habe. Wenn solche Verhandlungen so laufen, dass die Kanzlerin nach 24 Stunden sagt: „Es war alles anders“, und die Ministerpräsidenten allesamt darauf einschwenken, frage ich mich, wo der föderalistische Stolz bleibt – oder Patriotismus, so haben Sie es genannt -, den Sie eingefordert haben.

Ja, es ist ein Unterschied, ob man als Angehöriger einer Oppositionsfraktion punktuell Sachen benennen kann oder man die Verantwortung dafür trägt, dass Maßnahmen von der Exekutive operativ umgesetzt werden. Wir haben die Möglichkeit, hier auf Probleme hinzuweisen, und wir haben die Möglichkeit, Fehler zu benennen und Vorschläge zu unterbreiten. Und wir haben hier, auch die Fraktion Die LINKE, sehr viele Vorschläge unterbreitet, etwa zum Impfgeschehen und zu den Wirtschaftshilfen, die allesamt – als Antipode der Demut – in Bausch und Bogen abgelehnt worden sind. Genau deswegen ist der Appell, Demut walten zu lassen, in der Tat etwas, was für alle gilt, auch für uns. Aber natürlich ist in allererster Linie die Regierung gefragt, ihr Handeln zu korrigieren und auf Hinweise in solchen Debatten zu reagieren; denn am Ende ist es ihr Handeln, ihr Verwaltungshandeln und ihr Regierungshandeln, das sich im Alltag der Menschen niederschlägt.

Genau deswegen schlagen wir mit der nötigen Portion Demut und mit Maß und Mitte in unserem heutigen Antrag erstens vor – Herr Bretz, ich weiß, Sie sind ganz gespannt -, die Gaststätten zu öffnen. Warum? – Die RKI-Umfeldanalyse weist den Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen nur eine moderate Rolle im Infektionsgeschehen zu. Wir schlagen vor, nur die Außenbereiche zu öffnen; denn wir glauben, dass dadurch eine Entzerrung der Zusammenkünfte in privaten Räumen erfolgt.

Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass jetzt gerade die Zahl der Infektionen steigt, zu denen es in privaten Räumen kommt. Es geht darum, diese privaten Zusammenkünfte – die es zu Ostern geben wird, Regelung hin oder her; das ist die Lebenswirklichkeit -, die für einen besonders großen Teil der Infektionen verantwortlich sind, zu entzerren, indem wir sie in Bereiche verlagern, die ein zwar nicht infektionsloses, aber deutlich risikoärmeres Umfeld für Zusammenkünfte ermöglichen. Bitte sprechen Sie auch nicht von zusätzlichen Wegebeziehungen, die dadurch entstehen. Der Abholservice und der Lieferservice werden ja geradezu als die Lösung beworben. Dadurch haben Sie exakt dieselben Wegebeziehungen.

Es kommt natürlich hinzu, dass es gerade die Gaststätten sind, die mittlerweile seit Monaten mit am meisten leiden und das größte Sonderopfer gebracht haben. Und genau deswegen halten wir es für richtig, pünktlich zu Ostern – Karsamstag, um genau zu sein – diese Öffnung zu gestatten, gerade auch weil es im April wärmer wird.

Zweitens schlagen wir die Öffnung von Hotels und Beherbergungseinrichtungen vor. Die RKI-Umfeldanalyse weist ihnen die kleinste Rolle im Infektionsgeschehen zu. Warum? – Weil sie hohe Hygienestandards erfüllen. In der Tat, wenn man nach Mallorca fahren kann – ja, die Inzidenz ist dort niedriger -, muss auch der Osterurlaub in Brandenburg möglich sein: in der Uckermark, in der Märkischen Schweiz oder wo auch immer. In Ferienwohnungen ist es sicher. Insofern ist es nicht einzusehen, hier aus Prinzip auf einer Schließung zu beharren.

Drittens: Einzelhandel. Nur die Supermärkte sind offen, bei einer deutlich höheren Frequentierung. Teile des Einzelhandels waren offen, ohne dass es einen großen Anstieg der Infektionszahlen bewirkt hätte. Das haben wir heute auch gehört. Insofern ist es nicht einzusehen, dass hier wieder eine harte Schließung verordnet wird.

Viertens. Ich bitte Sie, zu beachten, dass wir all das unter einen Testvorbehalt stellen. Das ist heute auch wieder unterkomplex dargestellt worden. Öffnungen werden möglich. Man kann sicherer in die Einrichtungen gehen, weil getestet wird. Und noch eines: Infektionsketten werden dann schneller nachvollziehbar; denn wenn sich die Menschen in diese Einrichtungen begeben wollen und gehalten sind, entsprechende Tests vorzunehmen, werden auch Infektionsketten erkannt. Sie werden schneller nachvollzogen, und dementsprechend kann auch schneller reagiert werden. Es funktioniert nicht nur in Tübingen, es funktioniert auch in Teilen von Nordrhein-Westfalen. Das sage ich, weil es hier hieß, wir könnten das alles nicht machen.

Gestern, unmittelbar nach der Ministerpräsidentenkonferenz, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Müller – Berlin ist nicht so weit weg von hier, die größte kreisfreie Stadt im Herzen Brandenburgs -, Modellprojekte im Bereich Sport und Kultur sollen weiterhin stattfinden. Heute verkündet Ministerpräsident Söder für acht Regionen Bayerns exakt das Gleiche, nämlich das „Tübingen plus“-Modell, wie er es genannt hat, bei dem auch Öffnungen erfolgen sollen, um genau diese Einrichtungen vor einer erneuten Schließung zu bewahren. In Oberwiesenthal ist das ab dem 1. April geplant.

Durch die flächendeckende Bereitstellung von Tests, in weiten Bereichen funktionierend, soll das auch in Brandenburg ermöglicht werden. Bevor es heißt, das seien ja nur Modelle: Modelle sind dazu da, um sich an ihnen zu orientieren. Wenn sie offensichtlich in vielen Bereichen funktionieren und in vielen Bereichen übernommen werden, ist es nicht einzusehen, warum das in Brandenburg nicht geschehen soll.

Bevor Sie mit falschen Zahlen kommen: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Landkreis Tübingen und der Stadt Tübingen. Nun nennt er sich Oberbürgermeister; es ist aber keine kreisfreie Stadt. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen – das ist schon längst „debunked“ -: Das waren falsche Zahlenmeldungen des Bundesepidemiologiebeauftragten Karl Lauterbach, der einfach nicht unterscheiden konnte zwischen den Landkreiszahlen und den Stadtzahlen. Wenn Sie sich die Zahlen für die Stadt Tübingen anschauen, stellen Sie fest, die Infektionsquote liegt 50 % unter dem Durchschnittswert Baden-Württembergs, obwohl es eine Universitätsstadt und fast eine Großstadt ist.

Es zeigt sich also: Wenn dort Öffnungen möglich sind, die Inzidenzwerte trotzdem deutlich darunter liegen und dafür die Grundrechtseinschränkungen deutlich milder ausfallen, ist das eine gute Sache, und wir täten in Brandenburg gut daran, daran zu partizipieren. Im Übrigen möchte ich in aller Höflichkeit darauf hinweisen, dass Punkt 6 des Beschlusses vom Dienstagmorgen – nun weiß ich nicht, was davon heute aufgehoben wurde – genau das vorsieht: dass solche Modelle ermöglicht und angegangen werden.

(Zuruf)

– Ja, das ist der Entschließungsantrag, der nach unserem Antrag kam. Ich respektiere das ja, aber dann sollten Sie an der Graduierung Ihrer Kritik an unserem Antrag vielleicht auch ein bisschen arbeiten. Das hat auch etwas mit Demut tun. Das wird Ihnen Ihr Kollege in der Bank hinter Ihnen erklären können; das ist nämlich auch ein Demutexperte.

(Vereinzelt Heiterkeit)

– Doch, ich respektiere das.

(Zuruf)

– Nein, ich habe noch sehr viel Redezeit. Sie unterschätzen das häufig.

Schließlich zu Ostern: Wir wissen noch nicht genau, welche Regelungen heute festgelegt worden sind und uns verkündet werden. Aber wir erhalten den Antrag aufrecht, dass aufgrund der religiösen, familiären und traditionellen Bedeutung des Festes Gottesdienste und Osternachtsmessen möglich sein sollen und auch weltliche Feiern – sprich: Osterfeiern – möglich sein sollen, nicht nur als virtuelle, sondern auch als Präsenzveranstaltungen. Zu Weihnachten wurde das auch ermöglicht. Zu Weihnachten gab es sogar eine Lockerung, was die Zusammenkünfte im Familienkreis anbelangte, obwohl die Inzidenzen damals höher lagen; daran möchte ich Sie erinnern.

Es gehört zur Tradition und auch zum religiösen Brauchtum dieses Landes, dass wir das Feiern dieses hohen christlichen Fests in der regulären Art und Weise zulassen, natürlich mit Abstandhalten und einer Beschränkung der Zahl, aber sehr wohl in den dafür vorgesehenen Gotteshäusern und mit dem dafür vorgesehenen Ritus und dem Ritual. Ich glaube, das gehört zur Würdigung der Heiligkeit dieses Festes.

Insgesamt soll unsere Regelung nicht sofort gelten, sondern ab Karsamstag, dem 3. April, bzw. ab Gründonnerstag, wenn es um die kirchlichen Sachen geht. Ich weise Sie darauf hin, wie stark die Grundrechtseingriffe sind – das kommt mir in der ganzen Diskussion ein bisschen zu kurz -, und vor allem auf den Umstand, dass die Wirksamkeit der einzelnen Schließungsmaßnahmen nicht erwiesen ist. Solange das so ist, müssen wir uns im Zweifel für die Freiheit entscheiden: mit Maß und Mitte, mit Augenmaß. Wir sagen nicht, es soll keine Maßnahmen geben, sondern wir sagen: Maß halten und Einschränkungen nur, wenn es keine Alternativen gibt.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daran erinnern, dass es unsere Aufgabe ist, regelmäßig die Grundrechte zu verteidigen und ihre Einschränkung kritisch zu überprüfen. Und ja, hierbei kann man zu unterschiedlichen Abwägungen kommen, in der Tat, und die können sich auch von Monat zu Monat unterscheiden, aber die Diskussion zu bremsen und die Suche nach Lösungswegen zu diskreditieren birgt die Gefahr einer Selbstverständlichkeit der Grundrechtseinschränkungen, die nicht unserem Verständnis entspricht.

Genau deswegen bringen wir uns mit diesem konkreten Vorschlag ein. Und ja, wir streben nach der Demut, Fehler in der Einschätzung, die auch wir gemacht haben, einzugestehen und zu korrigieren, und wir bitten Sie um die Größe, Anträge nicht nach Parteipolitik, sondern nach dem Nutzen für die Bevölkerung zu bewerten. Die Menschen warten lange, sehr lange, und sie sind sehr geduldig, und deswegen schlagen wir vor, ihnen zum Osterfest ein Stück Normalität zurückzugeben. Die Menschen verlangen keine Wunder – BVB / FREIE WÄHLER verspricht keine Wunder -, und die Menschen verlangen auch nichts Unverschämtes, sondern einen Schritt hin zu Normalität und Selbstverständlichkeit. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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