Rede von Ilona Nicklisch in Textform:
Frau Abg. Nicklisch (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Coronapandemie legt viele Probleme und Herausforderungen schonungslos offen. Insbesondere Frauen arbeiten häufig in systemrelevanten Berufen und sind parallel dazu gleichzeitig Mütter, Heimlehrerinnen und Hausfrauen. Auch die Zunahme häuslicher Gewalt gegen Frauen während der Coronakrise ist ein Punkt, der stärker in den Fokus gerückt werden muss, so wie die generelle Förderung und Gleichstellung von Frauen. Eine Fortschreibung des Landesgleichstellungsgesetzes und des Landesaktionsplanes gegen Gewalt an Frauen sowie der Erhalt der Frauenhäuser sind daher aus unserer Sicht sehr wichtig.
In ihrem Antrag, dem wir leider nicht vollumfänglich zustimmen können und den wir daher auch nicht mit eingereicht haben, machen die antragstellenden Fraktionen einen großen Maßnahmenkatalog auf. In vielen der geforderten Punkte können wir mitgehen, in einigen aber leider nicht.
Wir stimmen mit Ihnen darin überein, dass die Gleichstellung und der besondere Schutz von Frauen keine Selbstläufer sind und daher die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten gestärkt werden müssen. Dies darf keine Frage von verfügbaren Haushaltsmitteln sein, zumal der Landeshaushalt sicher genug Spielraum bietet, die benannten Punkte auszufinanzieren.
Ein besonderes Anliegen von BVB / FREIE WÄHLER ist der Kampf gegen jegliches Mobbing, und zwar völlig geschlechterneutral – das haben wir hier mehr und mehr und immer wieder deutlich gemacht. Daher unterstützen wir Ihre Forderung nach besseren Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene von digitalen Angriffen, Cybermobbing und Gewalt im Netz sowie nach einer Berücksichtigung dieser Gefahren in den Rahmenlehrplänen. Als wir das gefordert hatten, haben Sie uns auf die vorhandene Anti-Mobbing-Fibel verwiesen und keine Notwendigkeit dafür gesehen. Insofern ist es jetzt schön zu sehen, dass Sie unsere Anregungen doch ernst nehmen.
Geschlechtergerechtigkeit, Entgeltgleichheit und wirkliche Gleichheit von Frau und Mann dürfen nicht nur Schlagworte sein. Um sie mit Leben zu erfüllen, bedarf es jedoch der bestehenden Gesetze und Pläne sowie der Sicherstellung der Finanzierung entsprechender Projekte und Institutionen.
Nun aber zur Lebenswirklichkeit: Homeoffice und Teilzeit sind keine geschlechterspezifischen Angelegenheiten, sondern arbeitsorganisatorischen Belangen unterworfen; insofern sind gesetzliche Regelungen weder zielführend noch notwendig. Es bedarf auch keiner rechtlichen Regelung zur stärkeren politischen Beteiligung von Frauen; Landes- und Kommunalverfassung haben sich zur Gleichstellung und zum Zugang zu politischen Ämtern klar positioniert. Und wie stellen Sie sich eine geschlechterbewusste Ausgestaltung von Unterricht, geschlechtersensible Projektwochen und eine geschlechterbewusste Pädagogik vor? Das wurde hier ja schon angeschnitten; ich habe es nicht gefunden – aber danke! Es wurde dargestellt, dass es um eine Sichtbarkeit gehe. Aber was für eine Sichtbarkeit? Vielleicht können wir das noch einmal in den Ausschüssen diskutieren; ich bin ja lernfähig.
Sie listen die Prüfung von möglichen Maßnahmen auf, ohne dass Sie auch nur ansatzweise erklären, was man sich darunter vorstellen kann. Wenn Kindern in den Elternhäusern, Kitas und Schulen die demokratischen und ethischen Grundsätze wie Gleichberechtigung und Pluralismus, Glaubens- und Meinungsfreiheit, Respekt und Toleranz vermittelt werden, erreichen wir mehr – und das sollten wir anfangen.
Sie fordern, ab 2023 in einem Modellprojekt die geschlechtergerechte Haushaltsführung zu berücksichtigen. Frau Damus, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe im ersten Augenblick geschmunzelt und gedacht: Okay, geschlechtergerechte Haushaltsführung!? – Dazu wurde ja kurz ausgeführt. Aber ich bin nicht der Meinung, dass das der Grund ist. Aber gut! Es steht so im Antrag, und Sie können sich gern noch einmal dazu äußern. Wie das gehen soll, bleibt also offen; denn es gibt Bereiche, in denen vorwiegend Männer eine größere Rolle spielen, und es gibt Bereiche, in denen vorwiegend Frauen eine größere Rolle spielen. Dort kann man meiner Meinung nach keine geschlechtergerechte Aufteilung vornehmen. Ist dann die offensichtliche Bevorzugung eines Geschlechts gerecht? Das habe ich hinterfragt. Vielleicht können Sie mir das nachher beantworten.
Was an diesem Antrag am meisten enttäuscht, ist die Missachtung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Anhand des Vorhabens, ein Gutachten zur Prüfung weiterer Möglichkeiten der Einführung eines Paritätsgesetzes in Auftrag zu geben, wird deutlich, dass der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts keinerlei Bedeutung beigemessen wird. Dem können wir uns nicht anschließen.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Ich muss Sie bitten, langsam zum Ende zu kommen. Sie haben Ihre Zeit schon überzogen, Frau Nicklisch.
Frau Abg. Nicklisch (BVB/FW):
Ja. – Wir haben heute in diesem Hohen Haus die Verfassungsrichter gewählt, die unsere vollste Hochachtung genießen und verdienen. Deswegen werden wir uns enthalten. – Danke.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke:
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Ich muss sie zulassen, weil die Möglichkeit an sich besteht. – Herr Dr. Redmann und anschließend Frau Kniestedt. – Bitte
Herr Abg. Dr. Redmann (CDU):
Frau Kollegin, vielleicht kann ich ein Missverständnis aufklären. Sie haben gerade gesagt, in dem Antrag stehe, es solle ein Gutachten zur Erarbeitung eines Paritätsgesetzes in Auftrag gegeben werden. In dem Antrag steht, dass ein Gutachten zur Erreichung von Parité auf der kommunalen Ebene in Auftrag gegeben werden soll. Das ist etwas ganz anderes; das ist ein viel umfassenderer Ansatz. Man stellt sich die Fragen: Woran liegt es eigentlich, dass sich auf kommunaler Ebene so wenige Frauen in den verschiedenen Gremien beteiligen und am Ende dort auch zur Verfügung stehen? Woran liegt es, dass sie nicht in die Positionen kommen, und wie kann man das ändern? Würden Sie eingedenk dieser Erläuterung erwägen, dem Antrag doch zuzustimmen?
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Wir schließen gleich die Frage von Frau Kniestedt an.
Frau Abg. Nicklisch (BVB/FW):
Herr Redmann, danke für Ihre Ausführungen. Ich bin immer dankbar, denn Sie sind ja gelernter Rechtsanwalt, Sie sehen die Sachen anders. Aber dann wäre es doch schön, wenn Sie das in Ihren Anträgen auch ein bisschen verständlicher schrieben, dann bräuchte ich mir hier keine Gedanken zu machen, und dann könnten wir dem Antrag eventuell zustimmen. Aber heute werden wir uns – erst einmal – enthalten.
Präsidentin Prof. Dr. Liedtke: Frau Kniestedt, bitte.
Frau Abg. Kniestedt (B90/GRÜNE):
Ich unternehme jetzt noch einmal den gleichen Versuch, Frau Nicklisch, weil mir dieses Thema wirklich ganz besonders wichtig ist und es darum geht, dass man in der Folge über das eine oder andere debattiert. Da Sie vorhin angemahnt haben, man wisse nicht genau, was man zum Beispiel bei der Kindererziehung noch anders machen könne als Erziehung zur Toleranz, stelle ich als Beispiel eine einfache Frage, die tatsächlich so gestellt worden ist: Wenn im Kindergarten ein Kind sagt „Ich möchte bitte den Stift mit der Hautfarbe“, was nehmen Sie dann in die Hand? Solche Dinge kann man lernen, und ich bitte Sie ernsthaft, noch einmal in der Fraktion darüber nachzudenken, ob es hier nicht eine Möglichkeit wäre, dass wir alle klarmachen: Wir wollen an dieser Stelle Veränderungen, und von allein kommen sie nicht. – Ich bitte Sie sehr, darüber noch einmal nachzudenken.