Rede von Philip Zeschmann in Textform:
Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Keine Angst, ich habe nicht die Absicht, meine Rede von gestern Abend zum Einzelplan 20 zu wiederholen, sondern werde einmal ganz anders anfangen.
Sie haben hier vor einigen Jahren schon einmal einige Koeffizienten gehört, die sehr interessant sind und die wir Frau Dr. Ludwig verdanken, der ich auch in Abwesenheit herzlich dafür danke, dass sie dazu schöne Anregungen geliefert hat. Damals hat Frau Dr. Ludwig diese aus der Rolle der Opposition heraus gegenüber der rot-roten Landesregierung errechnet und hier vorgestellt. Nun wollen wir schauen, wie sich diese Kennzahlen der Haushaltsdiskussion unter einer Regierung mit CDU-Beteiligung entwickelt haben.
Beginnen wir einmal ganz sachlich mit der Zahl der Änderungsanträge, die insgesamt gestellt worden sind. Das waren im Doppelhaushalt 2015/2016 311 Anträge, im darauffolgenden Doppelhaushalt 437 Anträge, und wir hatten jetzt 283 Änderungsanträge. Allerdings haben wir ja auch keinen Doppelhaushalt behandelt, sondern einen einfachen Haushalt, weshalb man das wohl herunterrechnen darf, und dann kommt ein Koeffizient von 182 % gegenüber dem Jahr 2015 heraus. Damit sind wir nicht fauler geworden, sondern waren entsprechend aktiv und haben am Haushalt gearbeitet. Das ist der Arbeitskoeffizient.
Nun würde man natürlich denken, dass diese Änderungsanträge – das wurde hier zum Teil schon gesagt – in der Regel von den Oppositionsfraktionen kommen sollten, aber weit gefehlt. 106 Anträge haben allein die Koalitionsfraktionen gestellt. Daraus können wir den damals schon eingeführten, bei Ihnen bekannten Panikkoeffizienten berechnen, der nämlich besagt, wie viele Anträge die Regierungskoalition zumeist auf den letzten Drücker eingebracht hat, weil sie offensichtlich von der Unzulänglichkeit des Haushaltsentwurfs ihrer eigenen Regierung erschrocken war. Waren es im Doppelhaushalt 2015/2016 ganze 57 Änderungsanträge, waren es im Doppelhaushalt 2017/2018 143 – das war schon eine Steigerung um 250 % – und im Doppelhaushalt 2019/2020 244 Anträge; da wären wir dann bei einem Panikkoeffizienten von 428 %. Keine Angst, da kommen wir nicht ganz heran; aber wenn wir das auf ein Jahr umrechnen, sind wir bei einem Panikkoeffizienten von 372 %. Da muss ich dann schon sagen: eine wirklich beeindruckende Verringerung der Panikattacken in einer neuen Koalition unter Beteiligung der CDU, liebe Kollegen aus der Fraktion!
Es gab mehrfach eine Vielzahl von Anträgen über Nacht. Damit war eine tiefergehende Kenntnisnahme natürlich nicht möglich und schon gar nicht eine Abstimmung in der eigenen Fraktion. Aber das war ja für die Koalitionsfraktionen ohnehin nicht von Interesse, da Sie ja im Wesentlichen machtversessen alles durchgedrückt haben, was wir auch in der Debatte gestern erlebt haben und heute hier wieder erleben.
Was sind nun die Ergebnisse dieser mehrfachen Panikattacken? 451 Millionen Euro Mehrausgaben, denn es sind ja alle Anträge der Koalitionsfraktionen beschlossen worden, und 311 Millionen Euro mehr Verpflichtungsermächtigungen für das nächste Jahr und nochmals zusätzlich zwei Stellen on top zu den ohnehin im Haushalt enthaltenen Stellenaufstockungen in allen Ministerien – in der Krise, wohlgemerkt.
Jetzt kommen wir zu einer kleinen Premiere, zum neuen Gelddruckkoeffizienten. Da in den letzten regulären Haushalten – ich rede hier nicht von Nachtragshaushalten – keine Kredite mehr aufgenommen wurden, was ich sehr löblich finde, ist die Steigerung der Kreditaufnahme in Zeiten, in denen in der Verfassung eigentlich eine Schuldenbremse verankert wurde, von null auf 255,44 Millionen Euro allein aufgrund der wirtschaftlichen Notlage und 2,4 Milliarden Euro, also 2 400 Millionen – ganz schön viele Nullen! – schon extrem und exorbitant. Das macht nämlich einen Gelddruckkoeffizienten – den werden wir in den nächsten Jahren nicht so leicht toppen – von 2 656 %.
Dazu muss ich sagen: Herzlichen Glückwunsch an die Landesregierung und die Finanzministerin zu so viel Generationengerechtigkeit und Zukunftsorientierung!
Jetzt gehe ich einfach einmal ein wenig auf meine Vorredner ein, um nicht das Gleiche von gestern Abend wiederholen zu müssen. Bei Herrn Vogelsänger, das muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich auch das gedacht, was hier schon angesprochen wurde, nämlich dass ein Aneinanderreihen von Danksagungen nicht ausreicht, sondern dass es hier um eine Haushaltsdebatte geht und um einen Haushalt außergewöhnlichen Volumens.
Sie haben gesagt, dass wir 289 Millionen Euro für die Impfstrategie benötigen werden. Das ist richtig, da sind wir auch dabei; niemand hat jemals etwas dagegen gesagt. Nur haben Sie gesagt, dass wir dafür das Sondervermögen benötigen würden. Genau das ist schlicht falsch! Wir brauchen eben kein Sondervermögen, wo die Transparenz und die Kontrolle durch den Landtag und den Haushalts- und Finanzausschuss verloren geht, sondern wir brauchen Kreditermächtigungen, wie Sie sie auch verwenden, Herr Bretz, damit wir auf solche Dinge reagieren und auch prüfen können, welche Dinge der Bund macht und was wir davon kofinanzieren müssen.
(Zuruf des Abgeordneten Bretz [CDU])
– Dazu komme ich noch.
Weiterhin hat Herr Vogelsänger etwas ganz Tolles gesagt, nämlich: Der Landeshaushalt wird Leben retten. – Das finde ich gut; da haben Sie recht. Wenn das so ist, dann finde ich das auch sehr tröstlich bei einer derart exorbitanten Kreditaufnahme. Aber mit derartig aufmerksamkeitsheischenden Aussagen wollen Sie – tut mir leid, das sagen zu müssen – von dem zentralen Thema ablenken, nämlich dass die rechtswidrige Begründung für Teile der Kreditaufnahme hier definitiv in den Unterlagen steht. Ich habe gestern einige Stellen zitiert, wo Sie selbst geschrieben haben, dass Sie Geld aufnehmen, das eben nicht für coronabedingte Folgen genutzt werden soll.
Weiterhin soll das auch davon ablenken, dass hier eine rechtswidrige Verschiebung von fast einer Milliarde Euro – nämlich den genannten 930 Millionen Euro – in einen dauerhaften Schattenhaushalt namens Sondervermögen stattfinden soll, was übrigens auch die Fachleute der Anhörung, die Professoren im Finanzausschuss, in der Mehrheit so gesehen und bestätigt haben, Herr Bretz.
Dazu kommt die Aufgabe jeglicher Kontrollmöglichkeit durch das Parlament und den Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Man kann gerne nachlesen – auch Sie, Herr Bretz, könnten das eigentlich tun -, wie Sondervermögen normalerweise definiert sind. Sie sind eben kein Bestandteil des normalen Haushalts, und deswegen gibt es keine regelmäßige Berichtspflicht im Haushaltsund Finanzausschuss, deswegen gibt es keine Transparenz. Am Anfang haben Sie noch selbst hier zu diesem Haushalt erzählt, dass nur einmal im Jahr – nämlich im Nachgang, also Ende Dezember 2021 – darüber Bericht erstattet wird, wofür Geld aus diesem Schattenhaushalt abgeflossen ist.
Vizepräsidentin Richstein: Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Herr Abg. Dr. Zeschmann (BVB/FW): Nein.- Warum also hören Sie plötzlich auf mit dieser regelmäßigen Berichtspflicht und dem Haushaltsvorbehalt, den Sie selbst noch als Koalitionsfraktion – und Sie persönlich, Herr Bretz – angekündigt haben, als es um den Corona-Rettungsschirm im April ging? Warum hören Sie damit auf? Warum kann man nicht einfach ein gleichartiges Modell mit Transparenz und Kontrolle, auch dem Haushaltsvorbehalt durch den Haushalts- und Finanzausschuss, schaffen? Warum muss man dafür in den Schattenhaushalt gehen?
Und noch eine Sache: Sie haben gesagt, Sie wollen niemanden im Land zurücklassen. Das ist fast richtig, Herr Bretz. Nur eines haben Sie nicht bedacht: Den Landtag sowie den Haushalts- und Finanzausschuss und natürlich auch die Oppositionsfraktionen jeglicher Couleur lassen Sie völlig zurück und völlig außen vor, weil sie absolut kein Wort mehr darüber reden konnten. Sie haben kein Gespräch mit uns darüber geführt, welche Änderungen im Haushalt vielleicht sinnvoll wären. Sie haben im Haushalt auch bei exakt gleichlautenden Anträgen keine gemeinsamen Anträge gemacht, nicht einen Millimeter bei 283 Anträgen. Sie haben keine Gespräche gesucht, Sie sind dieser Kritik aus dem Weg gegangen. Das Einzige, was Sie gemacht haben, ist, sich dem Landesrechnungshof anzunähern und die Notlage nur noch für zwei Jahre zu erklären, das Sondervermögen nur für zwei Jahre einzurichten.
Allerdings gibt es – und jetzt kommt der Haken – 7,7 Milliarden Euro Verpflichtungsermächtigungen. Das ist mehr als die Hälfte des Haushaltes! Das hat es in der Geschichte des Landes Brandenburg noch nie gegeben. Damit schaffen Sie sich einen wundervollen Topf, um die Wünsche der Koalitionsparteien, die im Koalitionsvertrag stehen, für die nächsten Jahre, wundervoll finanziell unterlegt, gemütlich abarbeiten zu können, auch noch mit der Vorgabe Ihres schönen Mantras, nicht in die Krise hineinzusparen. In Wirklichkeit aber ist es das Synonym für die Wunscherfüllungsmaschine der Koalitionsfraktionen mit diesen Verpflichtungsermächtigungen und dem Sondervermögen.
Genau das ist es, was uns in dieser ganzen Diskussion ärgert; ich verkürze das jetzt. Was mich an dieser Sache ärgert und was auch gar nicht nötig wäre: Warum müssen wir darüber streiten? Warum können wir das nicht, genauso wie den Corona-Rettungsschirm 2020, transparent handhaben, mit Haushaltsvorbehalt usw.? Dann könnten wir hier darüber reden und hätten die letzten drei Monate bei den Haushaltsberatungen darüber gesprochen, was wirklich wichtig wäre, nämlich: Welches sind die besten Lösungen in der Krise für Brandenburg – für unsere Bürger, für unsere Unternehmen, für unsere Soloselbständigen, für unsere Kommunen? – Diese Chance haben Sie vertan! Wir haben nicht einmal über so etwas diskutieren können, weil Sie das grundsätzlich abgeblockt haben. Das wäre notwendig gewesen. Ich finde es sehr traurig und wirklich sehr bedauerlich, dass Sie, die Koalition und die Landesregierung, das nicht versucht, sondern verhindert haben. – Danke schön.