Link zum Vorgang: https://www.bvb-fw-fraktion.de/parla_tracking
Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Erneut kommen wir zusammen, um über die Lage – wir alle glaubten, das Virus binnen Jahresfrist zu besiegen – zu beraten. Es ist ein angemessener Umgang mit der Situation, und angemessene Reaktionen sind das Gebot der Stunde, Gebote der Pietät, der Vorsicht und der Umsicht. Deswegen ist es grundsätzlich richtig, dass sich die Ministerpräsidenten und die Landesregierungen auf weitergehende Maßnahmen verständigt haben.
Mit einem Wert von 22 000 Neuinfektionen in Deutschland im Schnitt der letzten sieben Tage haben wir einen neuen Höchstwert erreicht. Wir haben zwar kein exponentielles Wachstum im Bereich der Neuinfektionen, auf jeden Fall aber einen spürbaren Anstieg der Wachstumsraten seit Anfang Dezember. Dabei ist diese Entwicklung auch direkt in Verbindung mit den Personen zu bringen, die einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen: Nur um einige Tage versetzt erleben wir auch dort einen Anstieg der Wachstumsraten bei Personen in entsprechender Behandlung – mit aktuell 4 700 Personen eine Wachstumsrate von 1,6 % pro Tag. Wir werden bereits morgen oder übermorgen an dem Punkt angelangt sein, dass, wenn man die Reserve nicht berücksichtigt, die Zahl der belegten Intensivbetten in Deutschland höher sein wird als die der freien. Das ist ein Wendepunkt, den es ernst zu nehmen gilt.
Besonders besorgniserregend ist das weiterhin exponentielle Wachstum der Zahl der Toten: 440 sind es im Mittelwert der letzten sieben Tage. Mittlerweile liegt der Inzidenzwert deutschlandweit bei allen Altersgruppen – außer den kleinen Kindern, die weniger getestet werden – bei über 100 auf 100 000 Einwohner. Besonders stark fiel der Anstieg hier in Brandenburg aus: Die 7- Tage-Inzidenz – ich glaube, der Ministerpräsident hatte da einen kleinen Zahlenwackler – beträgt 152 und liegt damit nur knapp unter dem bundesweiten Schnitt von 176. Und ich möchte für uns als BVB / FREIE WÄHLER verdeutlichen: Das Gute an Zahlen ist: Sie sind nicht meinungsabhängig, sondern unstreitig und stehen fest.
Was allerdings Anlass zu Diskussionen gibt, ist die Wirksamkeit der Maßnahmen. Da ist durchaus einiges streitig.
Es ist richtig, dass vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklung festgestellt werden muss, dass die bisherigen Maßnahmen ihre beabsichtigte Wirkung leider verfehlt haben. Aber warum ist das so? Darüber muss ein Meinungsstreit möglich sein.
Bis heute liegen keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu vor, welche Wirkung von den einzelnen Maßnahmen ausgeht. Die Bundesregierung sowie die Regierungen der Länder sind im Hinblick auf die Wirkung der Maßnahmen noch immer am Suchen. Maßnahmen werden ergriffen, ohne deren Wirkung beziffern zu können, und das begründet Sorge im Hinblick auf die Akzeptanz der Maßnahmen. Es heißt immer: Wir müssen auf die Wissenschaft hören. – Das ist absolut richtig, aber dann muss es auch belastbare wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf die Infektionsquellen geben. Diese liegen uns Parlamentariern bis heute nicht vor. Die letzte ist von Anfang August und stammt vom RKI.
Ich sage nicht, wie welche Maßnahme wirkt – ich weiß es auch nicht. Aber es ist meine, es ist unsere Aufgabe, grundrechtseinschränkende Maßnahmen auch auf ihre Wirkung hin zu untersuchen. Nun habe ich nicht die medizinische Kompetenz, Gegenvorschläge zu unterbreiten – das tue ich nicht. Aber diese Debatte dient ja auch der Lageanalyse, und zur Lageanalyse gehört es, zu fragen: Warum gibt es trotz überall intensiv geführter Anwesenheitslisten keine Analysen zum Infektionsumfeld bzw. eine Analyse, welche Maßnahmen welche Wirkung, welchen Effekt exakt erzielt haben? War es zum Beispiel sinnvoll, botanische Gärten zu schließen? Jetzt kann man sagen: Das verringert die Kontakte. – Die Frage müsste lauten: Das verringert den Kontakt, aber was tun die Bürger stattdessen? Ziehen sie sich in sicherere Aktivitäten oder lediglich in weniger beobachtete Aktivitäten zurück? Derartige Fragen werden unseres Erachtens zu wenig analytisch diskutiert.
Und dass am Sonntag beschlossen wurde, viele Geschäfte ab Mittwoch zu schließen, ist unseres Erachtens eine höchst gefährliche Entscheidung. Es muss doch klar gewesen sein, dass es dann am Montag und Dienstag zu einem enorm starken Andrang in den Geschäften kommen würde – quasi Mitnahmeeffekte – und sich damit das Infektionsgeschehen womöglich weiter verschärft. Was macht uns sicher, dass wir mit den heutigen Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind? Besteht nicht die Gefahr, dass wir auch in drei bis vier Wochen Maßnahmen noch einmal verschärfen müssen, da wir feststellen müssen, dass sie zu wenig gebracht haben? Ist es richtig, immer weitere Einschränkungen vorzunehmen, oder wäre es nicht – wie von vielen gefordert – richtiger, Kontakte zu entzerren, indem etwa Öffnungszeiten zumindest für diese Zeit, also temporär, erweitert werden?
Ich werfe niemandem vor, es nicht zu wissen, da ich es auch nicht genau weiß. Aber wir wären in einer solchen Situation gut beraten, die mitunter an den Tag gelegte Hochnäsigkeit – nicht vom Ministerpräsidenten, aber von anderen Akteuren in Deutschland – gegenüber dem, was in anderen Staaten wie läuft, mal abzulegen.
Und man sollte ehrlich sein, den Menschen auch sagen, dass man bestimmte Dinge nicht unter Kontrolle hat, man teils keine wissenschaftlichen Erkenntnisse hat, denn die zahllosen Anpassungen der Maßnahmen haben zu einem erheblichen Grad an Unsicherheit geführt; und leider muss mittlerweile ein deutlicher Akzeptanzverlust gegenüber den Maßnahmen festgestellt werden. Das bedeutet nicht, dass wir uns gegen Maßnahmen aussprechen. Das bedeutet aber, dass wir eine kritische Analyse der Maßnahmen immer und immer wieder einfordern – ob hier in der Debatte oder auch in der Diskussion mit der Bevölkerung.
Und, meine Damen und Herren, festzuhalten bleibt schließlich, dass es ein Fehler dieses Landtages war, am 26. November – vor drei Wochen – den Antrag der BVB / FREIE WÄHLER Fraktion auf kostenlose Bereitstellung von FFP2-Masken abzulehnen. Dies bleibt in den Protokollen dieses Hauses und kann gegenüber der Bevölkerung nicht erklärt werden.
Wir haben schon damals kritisiert, dass die Vereinbarung der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin vom 25. November eine Eigenbeteiligung sogar für vulnerable Gruppen bei der Bereitstellung der Masken vorsah. Daher haben wir hier vorgeschlagen, dass das Land den Eigenanteil übernehmen soll – das wurde abgelehnt! Das ist angesichts der Infektionsentwicklung damals und seitdem unverantwortlich, weil sich eine solche Lage wahrlich nicht zu einer parteipolitischen Konfrontation eignet und damit drei Wochen verpasst wurden, in denen den am ärgsten Betroffenen zumindest diese Hilfe hätte zuteilwerden können, zuteilwerden müssen! Meine Damen und Herren, sehen Sie es mir nach: Diese Kritik bleibt!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wussten von Anfang an, dass erst ein Impfstoff der letzte Schritt zu einer finalen Klarheit sein kann. Bis Anfang Dezember haben etwa 40 000 Menschen in Deutschland freiwillig an Impfteststudien teilgenommen. In Großbritannien ist der Impfstoff seit 8. Dezember zugelassen, Hunderttausende wurden bereits geimpft. Bis Ende Dezember wird die Zahl der zu Impfenden in Großbritannien auf die Höhe geschätzt, wie wir sie in Deutschland erst für Ende Januar prognostizieren. In den USA laufen die Impfungen seit gestern an. In Deutschland hoffen wir hingegen auf eine Zulassung zu Weihnachten oder zum Jahresende und das, obwohl eine deutsche Firma involviert ist.
Nun kann man das der allgemeinen bundesdeutschen Bürokratie zuschreiben, aber die Frage „Was tut Brandenburg, und was könnte es besser machen?“ stellt sich schon. Da ist festzustellen, dass die Planung der Impfzentren nicht nur schleppend verläuft, sondern sie auch räumlich unzureichend sind.
Bayern plant 92 Impfzentren. Die meisten davon existieren bereits oder sind bis Ende Dezember einsatzbereit; sie warten nur noch auf den Impfstoff. Brandenburg plant elf Impfzentren: zwei für diesen Monat, neun weitere fürs erste Quartal. Brandenburg gehört damit zu den Bundesländern mit der geringsten Dichte einsatzbereiter Impfzentren.
(Dr. Redmann [CDU]: Es hat auch weniger Einwohner!)
– Richtig, danke für den Hinweis. Ich wusste, dass das von Herrn Redmann kommen wird: Brandenburg hat ein Sechstel der Einwohnerzahl Bayerns und ein Neuntel der Impfzentren. Bayern ist von der Fläche her zweieinhalb Mal so groß wie Brandenburg und hat neunmal so viele Impfzentren. Das heißt: Sowohl hinsichtlich der Bevölkerung als auch hinsichtlich der Fläche schneiden wir schlechter ab. Danke für den Einwurf! Ich werte das als Zwischenfrage, die nicht von der Redezeit abgezogen wird.
Meine Damen und Herren, selbst wenn die geplanten Impfzentren irgendwann fertig sind, bleiben wir eines der Bundesländer mit der schlechtesten Flächenabdeckung. Ja, in MecklenburgVorpommern sind sie noch dünner gestreut, allerdings setzt man dort stärker auf mobile Teams. Deswegen sollten wir als zweitschwächst besiedeltes Bundesland überlegen, auch stärker auf den Einsatz mobiler Impfteams zu setzen, weil dadurch insbesondere auf lokale Ausbrüche und Hotspots reagiert werden kann.
Meine Damen und Herren, trotz der Entwicklungen steht für uns fest: Weihnachten ist heilig. Deswegen begrüßen wir, dass es über die Weihnachtsfeiertage angemessene Lockerungen gibt, was der privaten und der religiösen Bedeutung dieses Festes gerecht wird, und dass damit zumindest in einem etwas größeren Kreis innerhalb der Familie dieses Fest gemeinsam begangen werden kann.
Die hier getroffene Regelung ist im Groben mit unserem eingereichten Antrag vergleichbar: Wir hatten ja zehn Personen vorgeschlagen. – Die jetzige Regelung sieht vor: Haushalt plus vier. – Wir wollen da nicht kleinkariert sein. Wenn die Familie klein ist, dann könnten in unserem Falle sozusagen mehr hinzukommen, wenn die Familie groß ist, können im Falle der Verordnung mehr hinzukommen. Das Gebot der Stunde, nämlich keine kleinteilige parteipolitische Besserwisserei zu betreiben, gilt auch für uns. Die Regelung geht im Wesentlichen mit unseren Forderungen konform. Deswegen haben wir diesen Antrag vor zwei Tagen zurückgezogen. Im Übrigen bleibt dadurch die Regelung „Haushalt plus vier“, sodass Mutter und Schwiegermutter gemeinsam kommen können, bestehen. So ist an alle gedacht.
Meine Damen und Herren, was wir aber nicht zurückziehen, ist unser Antrag, auch Mitarbeitern im nichtärztlichen Rettungsdienst eine Corona-Sonderprämie vom Land zu gewähren. Sie leisten eine herausragende und herausragend wichtige Arbeit. Gerade jetzt, mitten in der zweiten Welle, sollten wir diese Arbeit in besonderer Form – ähnlich wie bei den Altenpflegern – würdigen. Ob Notfallassistenten, Rettungssanitäter, Rettungshelfer – sie alle leisten eine über das allgemeine Maß hinausgehende, besonders kritische Arbeit. Es handelt sich hierbei um Menschen, die im Schnitt niedrig bezahlt werden, obwohl sie eine für die Gesellschaft unabdingbare Arbeit leisten. So verdient ein kommunal angestellter Rettungssanitäter im Schnitt 2 300 bis 2 900 Euro brutto. Dabei sind sie die Ersten an der Unfallstelle; sie sind die Ersten, die sich dem Coronavirus unmittelbar ausgesetzt sehen – von anderen Gefahren ganz zu schweigen.
Wir haben die Frage, warum hierfür noch keine Sonderprämie vorgesehen war, an die Landesregierung gerichtet. Die Landesregierung hat uns auf die Anfrage 619 mitgeteilt:
„Auch in anderen Bereichen wurden ohne Frage besondere Beiträge erbracht, sodass die in der Fragestellung zum Ausdruck kommende Überlegung zu weiteren CoronaPrämien im Grundsatz zunächst nicht abwegig erscheint. Eine scharfe Abgrenzung der infrage kommenden [Berufsgruppen] […] ist […] aber nicht möglich.“
Nun wollen wir auch keine Abgrenzung der Branchen vornehmen, sondern diejenigen mit einer besonderen Corona-Prämie bedenken, die coronaspezifische Sonderaufgaben übernommen haben. In der Antwort der Landesregierung zur Abgrenzung, warum Altenpflegern das gewährt wurde, wird erklärt:
„Mit der Altenpflege wird so ein Bereich bedacht, der in seinem Gehaltsgefüge im Vergleich zu strukturell vergleichbaren Beschäftigungsbereichen eine relevant geringere Entlohnung aufweist.“
Die Höhe des Gehalts sowie der besondere Arbeitseinsatz im Rahmen der Coronapandemie sind bei den Rettungssanitätern durchaus mit den Verhältnissen bei Altenpflegern vergleichbar: hinsichtlich des Gehaltsgefüges, der besonderen Belastung und der Tatsache, dem Virus unmittelbar ausgesetzt zu sein.
Es ist richtig und wird anerkannt, dass viele Berufe systemrelevant sind, sodass man nie angemessen für alle eine Prämie ausreichen kann – das stimmt schon. Allerdings reden wir bei Pflegern – in diesem Falle bei Mitarbeitern in den Rettungsdiensten – von einem engen Kontakt mit infizierten Menschen, sodass jenseits der Relevanz aller Berufe, die wir anerkennen, hier doch eine konkrete medizinische Risikobelastung festzustellen ist, die sie von anderen Berufen unterscheidet. Deswegen ist unseres Erachtens auch der allgemeine Tarifvetrag vom Oktober als Sonderzahlung hier nicht ausreichend, sondern es ist angemessen, wenn diese Branchen eine Extraprämie bekommen.
Ich weise darauf hin, dass das Land die Bundesmittel für Altenpfleger ja um 500 Euro aufgestockt und damit eine richtige und wichtige Wertentscheidung getroffen hat. Das haben alle Bundesländer so gemacht, und diese Grunderwägungen gelten in diesem Fall ganz genauso. Im Fall der Rettungskräfte haben Bayern und Berlin auch Sonderprämien gezahlt. Wir schlagen hier die moderatere, bayerische Variante vor, nämlich 500 bzw. 300 Euro Prämie für Rettungskräfte. Hierzu bitte ich Sie um Zustimmung.
Auf jeden Fall gilt unser Dank allen Rettungskräften, die gerade in der Pandemiezeit dafür sorgen, dass das Rettungswesen, das Gesundheitswesen nahtlos funktionieren, und sich hierbei einem besonderen Risiko aussetzen!
Ihnen, meinen Damen und Herren, die Sie mir so höflich zugehört haben, und uns allen wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein virusfreies neues Jahr! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.