Péter Vida zum Antrag „Altanschließer entschädigen“ von BVB/Freie Wähler vom 23.09.2020

23. Sep. 2020

Link zum Vorgang: https://www.bvb-fw-fraktion.de/parla_tracking

Rede von Péter Vida in Textform:

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sie müssen sich fragen lassen: Wie viel wollen wir den Bürgern dieses Landes noch zumuten? Insgesamt etwa 250 000 Haushalte, die betroffen waren; eine mittlerweile ein Jahrzehnt währende Odyssee durch alle Gerichtsebenen wird den deutlich älter werdenden Bürgern zugemutet. Wir haben eine sozial- und auch rechtspolitisch katastrophale Wirkung, die den Bürgern durch Gesetzesänderungen hier im Landtag, durch politische Positionierungen verschiedener Parteien, durch Verwaltungshandeln, durch Rundschreiben der Landesregierungen zugemutet wurde. All das hat zur Beitragserhebung beigetragen, und genau deswegen müssen wir auch hier im Landtag handeln und Verantwortung zeigen.

Es ist unzumutbar, den Bürgern weitere Gerichtswege aufzubürden. Der politische Hintergrund der Beitragserhebung ist eindeutig, und Rechtsfrieden kann nicht hergestellt werden, indem man das weiter vor sich hinplätschern lässt wie das Abwasser.

Wir brauchen auch endlich Klarheit, wer welchen Anteil des Geldes zurückbekommt, oder zumindest – zwei Anträge liegen ja vor – eine Kompromisslösung.

Für das Protokoll: Die Beitragserhebung im Bereich Altanschließer war rechtswidrig. Die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 ist eindeutig, klar und hat weiterhin Bindungswirkung. Zu Unrecht wurden 800 Millionen Euro an verjährten Beiträgen erhoben, mitunter für Anschlüsse, die viele Jahrzehnte zurücklagen.

Das Bundesverfassungsgericht kommt im Jahr 2020 zu keinem anderen Ergebnis. Die Entscheidung vom Juli 2020 war ein Nichtannahmebeschluss, der materiell-rechtlich gemäß Bundesverfassungsgerichtsgesetz keine Bindungswirkung entfaltet, sondern lediglich feststellt, dass die Zivilgerichte eine andere, einfachgesetzliche Auslegung vornehmen durften.

Was ist nun der Fall? Jene Bürger, die verwaltungsrechtlich gegen die Bescheide vorgegangen sind und keine bestandskräftigen Bescheide haben, bekommen ihr Geld zurück, haben ihr Geld zurückbekommen, haben weiterhin Anspruch darauf, es zurückzubekommen, weil die Entscheidung aus dem Jahr 2015 gilt und Bindungswirkung hat. Jene Bürger, die ihre Bescheide haben bestandskräftig werden lassen, also nicht dagegen vorgegangen sind, konnten nur noch zivilrechtlich dagegen vorgehen und bekommen dort leider kein Recht.

Selbst das Bundesverfassungsgericht nennt diese Situation unbefriedigend und weist in seinem neuerlichen Beschluss darauf hin, dass dies eine „der Rechtssicherheit […] abträgliche Konstellation“ sei. Das heißt, wer sich hier auf die Rechtsprechung vom vorletzten Monat beruft und meint, damit wäre Rechtsfrieden, Rechtssicherheit gegeben, nehme zur Kenntnis: Selbst das Bundesverfassungsgericht negiert das in seiner Entscheidung mit Verweis darauf, die Bürger hätten ja verwaltungsgerichtlich dagegen vorgehen können. Und – noch einmal für alle, die sich auf diese vermeintlich glorreiche Entscheidung berufen wollen – selbst das Bundesverfassungsgericht sagt, die Auslegung der Zivilgerichte sei nicht zwingend gewesen, aber die Grenze zur Willkür sei nicht überschritten worden.

Die Frage ist, ob es uns befriedigt zurücklässt, dass eine Gruppe das Geld zurückbekommt, die andere Gruppe nicht. Dies mag in beschränkten Einzelrechtsfragen dem Rechtsfrieden dienlich sein, nicht hingegen bei Vorgängen, die Zehntausende betreffen, Vorgängen, bei denen es ein systematisches, generelles Problem gegeben hat, welches nicht durch das einzelne „Zögern“ des Bürgers entstanden ist, sondern welches durch regierungsamtliches und behördliches Handeln herbeigeführt wurde: Gemeindevertretungen erklärten den Bürgern, Widersprüche seien nicht sinnvoll. Es gab Rundschreiben der Landesregierung zur Beitragserhebung an die Zweckverbände, und das am laufenden Band. Sogar noch in der Landtagsdiskussion 2014/2015 wurde hier von den Regierungsbänken erklärt, dass das alles aussichtslos sei. Genau deswegen trägt hier auch die Politik eine Verantwortung.

Für all jene, die jetzt darauf hinweisen, dass die Gerichte selbst gesagt hätten, wer keinen Widerspruch eingelegt hat, hat Pech gehabt: Das maßgebende Zivilgericht Brandenburgs, welches die Beitragserstattung negiert hat, nämlich das, hat im Jahr 2018 selbst gesagt, dass sie es nur deswegen negieren, weil legislatives Unrecht vorliege, die Verantwortung also beim Landtag liege. Bevor Sie sich also auf diese Rechtsprechung berufen, immer aufpassen: Der Finger zeigt auf Sie zurück!

Meine Damen und Herren, wie kann eine Lösung aussehen? Viele Bürgerinitiativen hoffen darauf, dass das, was die Landesregierung im Jahr 2016 sagte, dass eine Erstattung möglich ist, grundlegend überlegt wird. Wir haben hierzu im Ausschuss eine fundierte Anhörung durchgeführt; sie hat gezeigt, dass die Erstattung nicht zwingend, aber möglich ist. Da müssen wir uns jetzt die politische Frage stellen: Wie reagieren wir darauf, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat massiv erschüttert wurde, dass Bürger davon abgehalten, demotiviert worden sind, Widersprüche einzulegen?

Wir glauben, dies darf ihnen jetzt nicht zum Nachteil gereichen. Wir sollten die Odyssee nicht fortsetzen, indem wir den Vertrauensverlust in rechtmäßiges Verwaltungshandeln damit zu heilen versuchen, die Betroffenen auf weitere fünf, zehn oder noch mehr Jahre Klageweg zu verweisen. Der Landtag ist in der Pflicht, eine Lösung zu wollen – und die Landesregierung hat eine zu bieten, meine Damen und Herren, wenn es nottut, gerne auch im Wege eines Kompromisses, aber nicht, indem man das Problem hinnimmt, wie das Laufenlassen von Abwasser. – Vielen Dank

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