Péter Vida zur Regierungserklärung von Minister Präsident Dietmar Woidke vom 01.04.20

1. Apr. 2020

Péter Vida Rede in Textform:

Herr Abg. Vida (BVB/FW):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! In Zeiten der Krise sehen wir den großartigen Charakter der Brandenburger: Menschen aus allen Teilen des Landes, aller Altersgruppen und aller Berufe stehen zusammen und reichen damit – symbolisch – all jenen eine helfende Hand, die sie jetzt besonders benötigen. Sie senden damit auch ein Zeichen der Hoffnung, dass wir, wenn wir entschlossen und vorausschauend die richtigen Schritte gehen, diese Krise auch meistern können. In einer solchen Zeit zeigt sich, welche Kraft in unserem Land steckt; und es gilt, die außerordentliche Arbeit derer zu würdigen, die selbstlos für andere einstehen, für sie da sind und ihnen nahe sind.

Hoffentlich bald werden wir zurückblicken und sagen können: Dies war die Phase, in der ein neues Gefühl der  Nächstenliebe und Solidarität unser Land durchzog und es damit auch stärker machte. Denn diese Stärke braucht es jetzt, um diese Zeit der Heimsuchung, in der wir alle auf die Probe gestellt werden, zu meistern. Dazu gehört es, die Lage faktenbasiert zu analysieren, notwendige Maßnahmen zu definieren und die Ressourcen bereitzustellen, um diese entschlossen und konkret umzusetzen. Dabei geht es wahrlich nicht um parteipolitische Selbstdarstellung, sondern um gesellschaftliche Lösungen, die jedem zum Nutzen gereichen.

Meine Damen und Herren! Wir haben es mit einer der bedrohlichsten Pandemien der Geschichte zu tun. Lange Zeit wurde die Wirkung des neuartigen Coronavirus bei uns in Europa unterschätzt; das muss man so sagen. Der bei der Mehrheit der Infizierten milde Krankheitsverlauf wiegte die Menschen in trügerischer Ruhe und verleitete vor einiger Zeit noch viele dazu, unvorsichtig zu sein. Der gefährliche Trugschluss, dass man, weil man sich nicht krank fühle, den Alltag weiter unverändert bestreiten könne, ermöglichte erst die weite Verbreitung des Virus in Europa. Dabei zeigen sich eine höhere Reproduktionszahl, eine längere Inkubationszeit und eine deutlich höhere Sterblichkeit als bei einer gewöhnlichen Grippe.

Deswegen war und ist es auch so wichtig, den pseudowissenschaftlichen und verschwörungstheorieheischenden Verharmlosern entgegenzutreten. In dieser Zeit sind Desinformation und Agitation die größten Feinde von Heilung und Hilfe. Mit einem exponentiellen Wachstum der Infiziertenzahlen, ohne Impfstoff und in manchen Orten Italiens mit Übersterblichkeitsraten so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, steht die Tragweite außerhalb jeden wissenschaftlichen Zweifels. Die Gefährdungslage muss als so hoch benannt werden, wie sie ist. Daher müssen sich alle Maßnahmen und die Diskussion, ob man sie einschneidend findet, ob sie nötig sind, ob sie reglementierend sind, immer an folgendem Vergleich orientieren: Auf der einen Seite geht es um Lebensqualität, auf der anderen um Leben.

Meine Damen und Herren! Als eine der wichtigsten richtigen Maßnahmen sehen wir es an, dass die Menschen nicht durch sich beinahe täglich ändernde und einander teilweise widersprechende Aussagen verunsichert werden. Die nötigen Maßnahmen erfassen alle Bereiche des Lebens, und die zu erbringenden Kraftanstrengungen werden uns noch lange begleiten. Es ist richtig und wichtig, die Häufigkeit der Kontakte der Menschen zu begrenzen, um so die Streugeschwindigkeit des Virus zu verlangsamen. Deswegen war und ist es auch nötig, alle Möglichkeiten des Zusammenkommens von größeren Menschengruppen zu unterbinden.

Daher sind auch die anfänglich – anfänglich – zögerlichen Schritte der Landesregierung kritisch zu bewerten. Als eines der letzten Bundesländer hat Brandenburg am 16. beziehungsweise in manchen Teilen des Landes erst am 18. März die Schulen und Kitas geschlossen – mit mehreren Tagen Verzug im Vergleich zu anderen europäischen Staaten und auch anderen Bundesländern. Selbst als die Zahlen bereits exponentiell stiegen, wurde für den Bereich der Tagespflegeeinrichtungen für Kleinkinder am 20. März nur eine Empfehlung – keine Weisung! – zur Schließung gegeben, was dazu führte, dass sie in einigen Landkreisen noch bis in die letzte Woche geöffnet waren. Dabei sind die dort betreuenden Mütter und Väter, die selbst Kinder und Kontakt zu fünf bis sechs weiteren Kindern sowie deren Eltern haben, besonders gefährdet. Sie haben auch keine großen medizinischen Einrichtungen im Rücken, die sie mit Masken oder Desinfektionsmitteln versorgen könnten.

So hat es in Deutschland vom ersten Infizierten bis zur Schließung aller Kitas und Schulen 51 Tage gedauert – in Italien 34, in Tschechien gar nur 10 Tage. Dabei war auch nicht hilfreich – sehen Sie es mir nach -, dass Teile der Brandenburger Landesregierung noch vor wenigen Tagen vor einem angeblichen „Überbietungswettbewerb“ warnten und anmahnten, man müsse erst einmal die angeschobenen Maßnahmen 10 bis 12 Tage beobachten und dann auswerten. Noch am 20. März erklärte die Gesundheitsministerin in einem RBB-Interview, dass man von Ausgangsbeschränkungen abrate, weil die Maßnahmen der vorangegangenen zwei bis drei Tage bereits Wirkung zeigen würden – eine massive Fehleinschätzung angesichts der zweiwöchigen Inkubationszeit und der seitdem wachsenden Zahlen. In allen maßgeblichen Fragen – ob Schulschließung, Gastronomieschließung oder Ausgangsbeschränkung, die nur nicht so heißen darf – zog Brandenburg jedes Mal erst mit mehreren Tagen Verzögerung nach.

Nun wissen wir, dass das alle vor eine Herausforderung stellt und eine Situation ist, die wir so nicht kennen. Aber regelmäßig wurde Bayern für etwas kritisiert, was man nur Tage später selbst umsetzte, während sich in der Zwischenzeit die Zahlen bei uns verdoppelten und verdreifachten. Noch am 25. März erklärte die stellvertretende Ministerpräsidentin im RBB, dass man die Beschränkungen überdenken müsse; schließlich könne man Brandenburg nicht mit Bayern vergleichen, weil dort eine ganz andere Betroffenheit gegeben sei. Meine Damen und Herren, es tut mir leid: Das war eine unverantwortliche Lagebeurteilung. Wir brauchen nicht deswegen mildere Maßnahmen, weil wir noch nicht so betroffen sind, sondern wir brauchen diese Maßnahmen, damit wir nicht so betroffen sein werden. Das, meine Damen und Herren, ist die Erkenntnis der letzten Tage. Es ist auch die Erkenntnis aus den anderen Ländern.

Es ist ein Trugschluss, zu meinen, man müsse Entwicklungen immer erst beobachten, um Maßnahmen abzuwägen, um deren Wirkung zu berechnen und erst dann zu reagieren. Vielmehr muss man statistische Entwicklungen ablesen, Anstiegsraten vorhersehen und so präventiv agieren. Diejenigen, die zügiger handeln, preschen nicht vor oder haben anstehende Kommunalwahlen im Blick – wie ihnen auch vonseiten der Landesregierung in der hiesigen Ausschusssitzung unterstellt wurde -, sondern sie beugen vor und haben unsere Unterstützung.

Meine Damen und Herren! Wir stehen an der Seite jener, die Bürgerrechte wie Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit schützen wollen – keine Frage. Aber sie müssen auch wissen, dass Gesundheitsschutz und Schutz von Leben genauso edle und verteidigungswerte Grundrechte sind. Daher ist für uns klar: Bei einer epidemischen Ausbreitung eines Virus ist nun einmal die Mobilität der Bevölkerung ein Katalysator; sie gilt es zu begrenzen. Es braucht daher zügige und weitgehende Maßnahmen, um nicht dieselben Entwicklungen wie in anderen Ländern zu erleiden. Deswegen haben wir als BVB / FREIE WÄHLER von Anfang an für stringente Ausgangsbeschränkungen plädiert und wiederholen das an dieser Stelle. Die am letzten Wochenende stark frequentierten Parkplätze und Radwege geben uns – es tut mir leid – Recht in der Forderung, die Maßnahmen nach bayerischem Vorbild zu verschärfen.

Zugleich braucht es stringente Homeoffice-Lösungen für Angestellte, um ihnen unnötige Arbeitswege zu ersparen. Da, wo der ÖPNV genutzt werden muss, fordern wir umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen in allen Bussen und Bahnen – entgegen der abenteuerlichen Erklärung des Landrats des Barnim, die Busoberflächen eigneten sich nicht zur Reinigung.

Außerdem benötigen wir eine bessere Ausstattung der Hausärzte mit Schutzmitteln. Hier gilt es, von jedem Hilfsangebot Gebrauch zu machen und vorhandene Kapazitäten produzierender Gewerbe zu nutzen.

Ein zentraler Lösungsschritt ist die zeitnahe Realisierung von Massentests: Nur durch das Hochfahren von Testkapazitäten gewinnen wir ein echtes Bild und können zielgerichtet gefährdete Personen isolieren. In den Supermärkten sind von Rechts wegen – nicht durch Appelle, sondern von Rechts wegen – Hamsterkäufe durch Regelungen zu unterbinden, die die Abgabe von Lebensmitteln auf haushaltsübliche Mengen begrenzen.

Meine Damen und Herren, wir begrüßen, dass sich unser Vorschlag, die Steuervorauszahlungen für Unternehmen auszusetzen, in Umsetzung befindet; denn dies ist eine Maßnahme, die noch eher als der Rettungsschirm sofort Wirkung entfaltet.

Wir als BVB / FREIE WÄHLER unterstützen auch die Erhöhung des Hilfsfonds auf 2 Milliarden Euro und werden das im Rahmen der anschließenden Haushaltsdebatte dokumentieren. Wir gehen davon aus, dass aus diesem Geld die Übernahme der Kita-Beiträge auch für jene Eltern, deren Kinder eine Notbetreuung brauchen, als Würdigung der Ausübung ihrer systemrelevanten Tätigkeit erfolgt, dass daraus außerdem eine Unterstützung für die Tafeln gezahlt wird, um auch die stark Bedürftigen nicht zu vergessen, und dass natürlich auch sonst eine zügige Bereitstellung der zugesagten finanziellen Hilfen ermöglicht wird.

Vor allem aber müssen daraus die Kosten für die Ausstattung der Krankenhäuser mit Intensivbetten bestritten werden. Zugleich sollten – bitte – Einsatzmöglichkeiten für die derzeit beurlaubten Lehrer geprüft werden. Beispielsweise sollte geprüft werden, ob sie vorübergehend in Krankenhäusern für bestimmte Aufgaben eingesetzt werden können.

Zur Aufrechterhaltung der Rechtspflege fordern wir die Nutzung des elektronischen Anwaltspostfachs auch für Videokonferenzen bei mündlichen Verhandlungen in Zivilprozessen, wo dies möglich ist. Und in den Kommunen darf es nicht zu einer Aushöhlung der Mitwirkungsrechte der Vertretungen kommen. In Pandemiezeiten muss es Dringlichkeitsbeschlüsse geben – keine Frage -, aber diese müssen sich thematisch auf das beschränken, was nötig ist, um die Krisenbewältigung sicherzustellen, damit Missbrauch verhindert wird.

Meine Damen und Herren, die Regierung hat gute Maßnahmen zur Überwindung der Krise benannt. Die Opposition hat weitere Vorschläge unterbreitet. Es gilt nun, diesen Weg beherzt zu gehen. Wir alle wissen, es werden auf diesem Weg Hürden vor uns stehen. Doch möge dieser Weg immer von unserer Überzeugung, das Bestmögliche zu tun, und von unseren gemeinsamen Werten gezeichnet sein: indem wir die ehren, die im Dienst für das Gemeinwesen, in Hingabe für die Familien und mit Opferbereitschaft für unsere Mitmenschen tätig sind. Wenn wir Brandenburger uns von diesen Werten leiten lassen, können wir unsere Ziele auch erreichen und dieses Tal durchschreiten.

Die Bewältigung einer solchen Krise ist immer geprägt von Betrachtungen voller Demut, Menschen voller Hoffnung und dem Anpacken voller Entschlossenheit. Wir in Brandenburg müssen alles dafür tun, dass Wirtschaft, Gesundheitswesen und alle staatlichen Einrichtungen in der Stärke zurückkommen, wie die Menschen sie brauchen. Es ist auch unsere Aufgabe als Opposition, dabei die Regierung im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen.

Solange Brandenburg wahrhaftig gegenüber seinen Idealen bleibt und treu an der Seite seiner Bürger steht – was hier geschieht -, wird uns das auch gelingen. Es ist unsere Aufgabe, zusammen den Menschen das Signal zu senden, dass wir bei ihnen sind, dass niemand vergessen wird und jeder Einzelne zählt. Dazu wollen wir als BVB / FREIE WÄHLER unseren Beitrag leisten und dort helfen, wo wir können und wo wir gebraucht werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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