Link zum Vorgang: https://www.bvb-fw-fraktion.de/parla_tracking
Rede von Péter Vida in Textform:
Herr Abg. Vida (BVB/FW):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ja, wir machen weiter, auch bei Erschließungsbeiträgen. Die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in diesem Jahr war ein wichtiges Zeichen für sozialen Frieden und vor allem gegen die Spaltung der Bevölkerung und das Gegeneinander, das Mietern und Eigentümern eingeredet wurde. Die Grundsatzüberlegung, die uns damals bewogen hat, die Volksinitiative zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge auf den Weg zu bringen, gilt hier im Grunde genauso: Auch bei Erschließungsmaßnahmen handelt es sich um Güter der Allgemeinheit und auch hier erleben wir die gleiche Diskussion wie früher bei den Ausbaubeiträgen: Immer, wenn beraten wird, ob eine Straße gebaut werden soll, wird den Bürgern, die dort wohnen und sie nicht brauchen,
erklärt: Die Straße ist nicht für euch, sondern für die Allgemeinheit zur Benutzung.
(Beifall BVB/FW)
Wenn es allerdings zur Abrechnung kommt, wird den Bürgern erklärt: Ihr müsst 90 % der Kosten bezahlen. – Die Bürger erwidern dann: Wir dachten, das ist ein Gut der Allgemeinheit für die Allgemeinheit. – Nein, nein, nein, ist die Antwort, es ist eine Anliegerstraße, sie dient ja vor allem euch, deswegen habt ihr auch 90 % zu bezahlen. – Bei den meisten Kommunen sind das 90 %.
Das heißt, wir haben eine Doppelzüngigkeit in der Argumentation beim Ob des Baus im Vergleich zum Wie der Abrechnung.
(Beifall BVB/FW)
Ich höre immer wieder das Argument: Eigentum verpflichtet. Doch die Bürger haben kein Eigentum an der Straße – ihr Eigentum ist das Grundstück neben der Straße. Die Gemeinde ist Eigentümerin der Straße. Es sind Güter der Allgemeinheit für die Allgemeinheit. Deswegen ist es nur recht und billig, die Lasten nicht auf einzelne wenige zu verteilen, die zufällig dort wohnen.
Ich sage ganz deutlich: Es geht hier nicht um Vorhaben- und Erschließungsgebiete. Es ist völlig klar: Wenn jemand eine neue Reihenhaussiedlung plant, für die Straßen gebaut werden, hat der Projektierer auch die Kosten zu tragen und kann sie dann entsprechend auf den Kaufpreis umlegen. Das ist völlig logisch.
(Beifall BVB/FW)
Es geht hier natürlich um Straßen, die im einwohnermelderechtlichen Sinne schon seit Jahrzehnten als Straßen definiert sind, und um Menschen, die seit Jahrzehnten dort wohnen.
Ich hoffe auch, dass wir im Zuge der Diskussion nicht wieder hören müssen, hier würden Millionäre und Reiche entlastet werden. Meine Damen und Herren, das sind Extrembeispiele. Es mag ja sein, dass in der einen oder anderen Straße auch ein reicher Mensch wohnt. Man kann aber nicht Extrembeispiele als Argumentationsgrundlage für eine abstrakte gesetzliche Regelung heranziehen, sondern man muss den Durchschnitt betrachten.
(Beifall BVB/FW)
Auf der anderen Seite ist es kein Extrembeispiel, wenn man darauf hinweist, dass gerade Erschließungsmaßnahmen finanziell ruinös sein können. Fünfstellige Kostenbescheide sind für die Bürger keine Seltenheit. Deswegen brauchen wir auch bei den Erschließungsbeiträgen einen Fortschritt und vor allem einen Quantensprung hin zu mehr sozialem Frieden.
(Beifall BVB/FW)
Ich erinnere in aller Höflichkeit daran, dass im April 2019 – das ist noch nicht so lange her – im Zuge der Abschaffung der Straßenausbaubeiträge die CDU-Fraktion hier einen Antrag – Drucksache 6/11153 – zur Überführung des Erschließungsbeitragsrechts in Landesrecht und Abschaffung dieser Beiträge für alle Straßen, die am 03.10.1990 als Straßen, als Wohnstraßen sozusagen, genutzt worden sind, gestellt hat.
Jüngst wurde in der Stadtverordnetenversammlung Finsterwalde auf Antrag der dortigen CDU-Stadtfraktion ein Beschluss gefasst, in dem der Landtag aufgefordert wird, nicht nur die Straßenausbaubeiträge, sondern auch die Erschließungsbeiträge in Gänze abzuschaffen.
(Beifall BVB/FW)
Am 28.08.2019 – vier Tage vor der Landtagswahl – wurde dieser Beschluss mit den beiden sehr nennenswerten Aktivitäten auf Anregung eines namhaften und von mir sehr geschätzten ehemaligen Landtagsabgeordneten und heutigen Staatssekretärs, und zwar in jenem Ministerium, dessen Minister hier gleich sprechen wird, gefasst. Ich bitte Sie, das dann auch in der Argumentation zu beachten.
(Beifall BVB/FW sowie des Abgeordneten Walter [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, so weit geht dieser Antrag ja gar nicht, sondern beantragt wird lediglich die Herausgabe eines Runderlasses mit folgendem Inhalt:
Erstens: Herstellung von Rechtssicherheit bei der Abgrenzung, dem Ausbau und der Erschließung von Sandpisten sowie Beachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2007. Laut diesem Urteil ist maßgeblich, ob die Straße jemals als erschlossen betrachtet wurde und Maßnahmen an ihr vorgenommen worden waren. Regelmäßig müssen wir erleben, dass in vielen, vielen Gemeinden lediglich nach einer Inaugenscheinnahme der Straße entschieden wird: Das ist eine Sandpiste. Nach unseren Erkenntnissen war da nichts – also Erschließungsbeitrag. – Dabei regeln § 242 Abs. 9 Baugesetzbuch und übrigens auch der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR, dass bereits erschlossene Anlagen nicht noch einmal mit Erschließungsbeiträgen belastet werden dürfen.
(Beifall BVB/FW)
Deswegen ist es eigentlich Aufgabe der Gemeinden, die Historie der Straße zu rekonstruieren und zu eruieren, ob jemals Maßnahmen vorgenommen wurden. Maßgeblich ist nicht, wie die Straße heute aussieht, sondern was früher an ihr gemacht wurde. Hierbei ist auch zu differenzieren – was nicht beachtet wird -: Gab es zu DDR-Zeiten ein Ausbauprogramm, welches befolgt wurde? Selbst wenn es eines gab und dieses nicht befolgt wurde, kann es sein, dass durch Ausbaugepflogenheiten faktische Bauweisen überlagert worden sind. Wurden also diese Ausbaugepflogenheiten beachtet, gilt die Straße als
damals erschlossen. Und – das ist das Wichtigste -: Die Beweislast liegt bei der Gemeinde. Sie muss nachweisen, dass an dieser Straße noch nie etwas gemacht wurde. Nicht der Bürger muss nachweisen, dass diese Maßnahme erstmalig ist. Diese Beweislastregelung wird durch die Bank nicht beachtet und Archivhinweisen von Bürgern nicht nachgegangen. Bevor mir jetzt entgegengehalten wird, all das sei viel zu viel Aufwand für die Gemeindeverwaltungen: Meine Damen und Herren, das, was wir hier fordern, ist Rechtslage laut Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Nur wird sie nicht wirklich beachtet.
Im Übrigen hat es auch einen Mehrwert für die Gemeinden: Indem sie sich auf Recherche begeben, welche Ausbaugepflogenheiten in ihrem Gemeindegebiet galten, wird sichergestellt, dass die Straßenausbaukonzeptionen, die die Gemeinden auf fünf oder zehn Jahre erstellen, richtig kategorisiert werden, sodass die Planungssicherheit bei den Gemeinden auch gewährleistet wird.
Zweitens geht es in diesem Antrag auch darum, Bürgerbegehren, die auf Mitbestimmung ausgerichtet sind, wieder zuzulassen. Wir haben in Bernau im Jahr 2013 ein Bürgerbegehren durchgeführt, welches besagte, dass in Zukunft Erschließungsmaßnahmen nur stattfinden, wenn die Mehrheit der beitragspflichtigen Anlieger dem zuvor zustimmt. Dieses Bürgerbegehren wurde von der unteren Kommunalaufsicht – untere Landesbehörde – und der oberen Kommunalaufsicht – Innenministerium – für zulässig befunden. Warum? Weil gesagt wurde: Es ist nicht so, dass einzelne Anlieger über Güter der Allgemeinheit entscheiden, sondern die Grundsatzfrage, ob das Entscheidungsrecht auf die Anlieger delegiert wird, wird an alle Bürger gerichtet, und somit haben sie kein demokratietheoretisches Problem. Ein Problem entstünde, wenn die Anlieger nur einfach so gefragt würden. Dadurch aber, dass vorher alle Stadteinwohner gefragt worden sind: „Seid ihr in Zukunft dafür, dass die jeweiligen Anlieger entscheiden?“, hat eine deutliche Mehrheit – 94 % – gesagt: Ja, wir delegieren dieses Recht.
(Beifall BVB/FW)
Auch Mieter haben gesagt: Wir delegieren dieses Recht, auch wenn wir selbst nichts davon haben.
(Beifall BVB/FW)
Trotz der eindeutigen rechtlichen Positionierung des Innenministeriums habe ich im Zuge meiner Akteneinsicht letztes Jahr feststellen müssen, dass handschriftliche Ergänzungen in den Unterlagen eines anderen Bürgerbegehrens vorgenommen wurden – offenkundig auf ministeriellen oder zumindest auf Druck der Leitungsebene hin -: Wir können diese Rechtsposition nicht aufrechterhalten, wir müssen sie ändern, sonst kommen hier noch mehr Bürgerbegehren, wir müssen unsere Rechtsposition ändern, wir lassen es lieber gerichtlich klären. – Seitdem wird – teilweise durch dieselben Sachbearbeiter – genau der gleiche Bürgerentscheid, der damals in Bernau für zulässig befunden wurde, jetzt in Schöneiche, in Werneuchen und andernorts für unzulässig befunden. Deswegen fordert dieser Antrag nicht mehr, als dass die Rechtsposition, die seinerzeit juristisch präzise von der unteren und der oberen Kommunalaufsicht hergeleitet wurde, beibehalten und nicht aus politischen Gründen geändert wird.
(Beifall BVB/FW)
Meine Damen und Herren, mit diesem Antrag wird, ohne überhaupt Landesgeld in die Hand nehmen zu müssen, eine erhebliche Last von den Bürgern genommen. Es wird für Beitragsgerechtigkeit, für Rechtssicherheit und ein Stück weit mehr sozialen Frieden gesorgt. Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung.